001 - Im Zeichen des Bösen
kostbarem Silbergeschirr, silbernem Besteck und Kristallkaraffen gedeckt, aber in den Schüsseln und Terrinen befanden sich keine Speisen, und die Karaffen waren ebenfalls leer. Dorian beobachtete die anderen. Sie schienen überhaupt nichts dabei zu finden, daß sie vor einem gedeckten Tisch ohne Speisen und Getränke saßen. Sie blickten steif und bewegungslos auf die Gräfin.
Über dem Raum lastete ein erwartungsvolles Schweigen. Die Stille war vollkommen; nicht einmal das Atmen der Männer war zu hören. Der Lichtschein der sieben Kerzen fiel nur auf die Tafel und die zehn Personen, die an ihr saßen; der übrige Raum lag in vollkommener Finsternis, als ob ein Kreis um den Tisch gezogen worden wäre.
Auch Dorian wurde von der allgemeinen Erregung erfaßt. Er saß wie benommen da und wartete auf das Kommende. Er ahnte, daß er jetzt die Wahrheit über dieses ungewöhnliche Treffen erfahren würde.
»Ihr seid gekommen, weil ich euch gerufen habe«, sagte die Gräfin, und ihre Worte wurden von dem rollenden Donner untermalt.
Ihre Augen schienen Blitze zu versprühen. »Ich habe euch gerufen, weil ich Sehnsucht nach meinen Kindern hatte. Ihr seid meine Söhne. Überirdische Geschöpfe, die der geistigen Verbindung zwischen mir und dem Fürst der Finsternis entsprungen sind. Willkommen in der großen Familie der Schwarzen Magie!«
Dorian schwindelte. Er hatte mit vielem gerechnet, aber diese Eröffnung kam unerwartet für ihn. Er blickte kurz zu den anderen hin.
Die Starre war von ihnen abgefallen. Eine unbeschreibliche Erregung hatte von ihnen Besitz ergriffen.
»Ihr seid meine ureigenen Kinder, aber ihr seid nicht die Frucht meines Leibes«, fuhr die Gräfin fort. »In derselben Sekunde, in der ihr von mir und unserem obersten Fürsten gezeugt wurdet, schob ich euch sterblichen Frauen unter, damit diese euch austragen und großziehen. Ich wollte, daß ihr in der Welt der Sterblichen, der Schwachen, vom Fleisch gegeißelten Menschen aufwachst. Ihr solltet all die Tücken kennenlernen, mit denen ihr im kommenden Leben fertig werden müßt. Ihr solltet lernen, eure Veranlagung zu verleugnen, und mit euren Feinden zu leben, denn die Menschen sind unsere Feinde – obgleich es eine Tatsache ist, daß wir uns ihnen anpassen und in ihrer Welt behaupten müssen.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Die Männer atmeten auf, als hätte jemand eine große Last von ihnen genommen, als hätte jemand die Tür zu ihren Kerkern geöffnet und ihnen die Freiheit geschenkt.
Nur Dorian fühlte die Erleichterung nicht, die sich auf den Gesichtern der anderen spiegelte. Im Gegenteil, er hatte das Gefühl, in eine tödliche Falle geraten zu sein. Er gehörte nicht in den Kreis dieser dämonischen Geschöpfe, das fühlte er. Er dachte nicht wie sie, und er wußte, daß er nicht zu den Geschöpfen gehörte, die diese Hexe mit dem Satan gezeugt hatte. Er mußte durch einen Irrtum ihren Ruf gehört haben und in den Kreis dieser Verfluchten geraten sein. Diese Männer, die mit ihm an einem Tisch saßen, waren nie und nimmer seine Brüder! Allein der Gedanke daran entsetzte ihn.
»Ihr seid nach außen hin Menschen und werdet es auch in Zukunft bleiben«, fuhr die Gräfin Anastasia von Lethian fort. »Aber ihr wißt jetzt, daß ihr nicht allein seid. Wir, die Geschöpfe der Finsternis, sind eine große, starke Familie. Unsere Mitglieder sind über die ganze Welt verstreut, aber uns halten starke Bande zusammen. Wir wirken im verborgenen. Jeder von uns hat sich in der Welt der Menschen eine Existenz aufgebaut. Wir haben uns in der Gesellschaft eingebürgert, streben nach menschlichen Werten, aber in den Nächten, wenn die anderen schlafen, kommt unsere wahre Veranlagung durch. Dann dürfen wir sein, was wir tatsächlich sind: Vampire, Lykanthropen, Druden, Trolle – allesamt Kinder der Finsternis.«
Dorian meinte zu träumen. Er konnte nicht glauben, daß es Vampire, Werwölfe und die anderen fürchterlichen Gestalten aus den Schauerromanen tatsächlich geben sollte, ja, daß sie nicht nur lebten, sondern sich in einer weltweiten Organisation zusammengeschlossen hatten und die Menschheit ohne deren Wissen geißelten. Das alles war für Dorian wie ein schrecklicher Alptraum, und er hoffte, daß er bald erwachen würde. Doch nichts geschah, die gespenstischen Geschehnisse rollten weiter vor seinen Augen ab, strebten ihrem ersten Höhepunkt zu.
»Ich habe in ständiger Angst vor der Entdeckung gelebt«, verkündete der Serologe Frederic de
Weitere Kostenlose Bücher