Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
1. Kapitel
D er Winter kam in diesem Jahr sehr früh; das hätte mir eine Warnung sein sollen.
Ein Schneeball flog durch die Abendluft und traf meinen Lehrling mitten im Mund. Da sie beim Aufprall gerade einen mantra-artigen Zauber murmelte, brachte ihr das einen ordentlichen Happen eisgekühlten Vergnügens ein – was sie wahrscheinlich noch um einiges heftiger zusammenzucken ließ als die meisten anderen Leute in einer vergleichbaren Situation, da eine Unzahl von Stahlpiercings plötzlich Bekanntschaft mit dem Schnee machte.
Molly Carpenter spotzte, spuckte Schnee, und ein Schwall Gelächter der Kinder um sie herum brandete auf sie ein. Groß, blond und sportlich, in Jeans und einem schweren Wintermantel wirkte sie völlig natürlich in der verschneiten Umgebung, vor allem, weil ihre Wangen und Nase wegen der Kälte rosig angelaufen waren.
„Konzentration, Molly!“, rief ich. Ich gab mir alle Mühe, das Lachen zu unterdrücken, das sich in meine Stimme schleichen wollte. „Du musst dich konzentrieren! Nochmal!“
Die Kinder, ihre jüngeren Geschwister, begannen augenblicklich, weitere Munition zu formen, um sie erneut aufs Korn zu nehmen. Der Hinterhof des Carpenterhauses hatte sich im Laufe des Nachmittages bereits in ein winterliches Schlachtfeld verwandelt, und zwei niedrige „Burgmauern“ standen einander in zehn Meter Entfernung auf dem Rasen gegenüber. Molly stand zitternd dazwischen und warf mir einen ungeduldigen Blick zu.
„Das kann doch wohl kein echtes Training sein“, schniefte sie, und ihre Stimme bebte vor Kälte. „Das machst du doch nur zu deinem kranken Vergnügen, Harry.“
Ich strahlte sie an und nahm einen frisch geformten Schneeball von der kleinen Hope entgegen, die sich augenscheinlich zu meinem Knappen erklärt hatte. Ich bedankte mich ernsthaft bei dem kleinen Mädchen und warf den Schneeball einige Male prüfend in die Luft. „Quatsch“, antwortete ich. „Das ist eine hervorragende Übung. Findest du ernsthaft, wir sollten damit beginnen, Kugeln abzuwehren?“
Molly warf mir einen entnervten Blick zu. Dann holte sie tief Luft, neigte den Kopf in meine Richtung und hob die Hände, wobei sie die Finger weit spreizte. Sie begann wieder zu murmeln, und ich spürte eine subtile Veränderung im Fluss der Energien um mich herum, als sie die Umgebungsmagie zu einer fast stofflichen Barriere zusammenzog. Ein Schild erhob sich zwischen ihr und dem drohenden Geschosshagel.
„Legt an!“, befahl ich. „Zielen!“
Alle Anwesenden, ich selbst eingeschlossen, schleuderten ihre frostigen Wurfgeschosse, bevor ich auch nur am Ende des Wortes angelangt war. Schneebälle, geworfen von einer Reihe von Geschwistern, vom ältesten, Daniel, der nun siebzehn Jahre alt war, bis zum jüngsten, dem kleinen Harry, der noch nicht groß genug war, um einen ernstzunehmenden Wurfarm entwickelt zu haben, was ihn aber nicht im Mindesten davon abhielt, den größten Schneeball zu formen, den er nur irgendwie hochstemmen konnte, sausten durch die Luft.
Schneebälle prasselten auf den Schild meines Lehrlings herab, der heldenhaft die ersten ein oder zwei abhielt, wobei die eisigen Geschosse in Explosionen weißen Puders zerstoben. Der Rest jedoch fand sein Ziel ohne den geringsten Widerstand der Verteidigungsmaßnahmen Mollys, und bald war sie über und über mit mehreren Pfund Schnee bedeckt. Der kleine Harry rannte zu ihr hinüber und pflanzte mit einem schrillen Triumphgeheul seinen brotlaibgroßen Schneeball mitten auf ihren Bauch.
„Feuer!“, bellte ich verspätet.
Molly plumpste auf ihren Hintern, spotzte noch etwas und brach in ein kehliges Lachen aus. Harry und Hope, die jüngsten der Kinder, stürzten sich auf sie, und von da an artete meine schöne Unterrichtseinheit in Verteidigungsmagie in die althergebrachte Tradition der Carpenter-Sprösslinge aus, möglichst viel Schnee in den Halsausschnitt ihrer Geschwister zu schaufeln. Ich betrachtete das Schauspiel grinsend und bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass die Mutter der Kinder neben mir stand.
Molly kam sehr nach Charity Carpenter, die ihrer Tochter ihre Haarfarbe und ihre Figur vererbt hatte. Charity und ich waren einander nicht immer ganz grün gewesen – nun ja, wenn man es genau nimmt, waren wir einander kaum jemals richtig grün gewesen –, aber aktuell lächelte sie angesichts der Faxen ihrer Kinder.
„Guten Abend, Mister Dresden“, brummte sie.
„Charity“, antwortete ich freundschaftlich. „Ist hier oft so ein
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