0012 - Der Dämonenknecht
Zeit natürlich – im Laufe der letzten fünfundzwanzig Jahre.«
»Eigenartige Geschichte«, murmelte Georges mit bleichen Lippen.
»Erschreckt es Sie? Das tut mir leid«, flüsterte die Frau.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein. Aber im Ernst, es ist wirklich wahr.« Maria de Almagro stellte eine kleinmädchenhafte Naivität zur Schau und schien wirklich bekümmert.
»Hat man denn nichts getan, um das Geheimnis zu lüften? Hat die Polizei nichts unternommen?«
»Hat man alles, aber es ist nie etwas dabei herausgekommen«, murmelte die Frau.
Georges schluckte. Diese Geschichte gehörte doch ins Reich der Phantasie, aber andererseits schien alles möglich, wo schon der ganze Abend einen so merkwürdig unwirklichen Eindruck machte. Georges versuchte, ernsthaft nachzudenken.
***
Nicole Duval und Zamorra sahen sich suchend um. Der Portier am Eingang des kleinen Nachtlokals verneigte sich höflich. Wie immer um diese Zeit, war kaum ein Platz frei. Der mit roten Tapeten und Goldleisten ausgeschlagene Raum war voll besetzt mit Damen in teurer Abendgarderobe und Herren, denen ihr vielstelliges Banckonto auf die Stirn geschrieben schien. Ein halbes Dutzend befrackter Kellner eilte geschäftig zwischen den Tischen hin und her. Es wurde gerade serviert. Das diskrete Geräusch behutsam angesetzter Bestecke auf den vorgelegten Platten, der dumpfe Ton des Tellerauswechselns auf weißen Tischdecken, und das leise Rollen herangeschobener Servierwagen kennzeichnete die satte, behagliche Atmosphäre.
»Madame, Monsieur, einen Tisch mit zwei Plätzen? Bitte, dort unterhalb der Bühne ist noch ein kleiner Tisch frei.« Nicole trug ein raffiniert einfaches weißes Abendkleid. Ohne jedes übertrieben freigiebige Dekolleté umschloß es ihre zierliche Figur. Viele Blicke musterten sie anerkennend.
Da und dort streifte ein interessierter Blick aus Frauenaugen die Gestalt Zamorras.
Nachdem sie Platz genommen hatten, rückte der Garcon die Bestecke zurecht, brachte die Teller mit Gebäck und legte die Speisekarte auf den Tisch.
»La Bourride«, bestellte Zamorra nach kurzer Prüfung als Vorgericht. Eine Sauce aus Aioli und Fischsuppe, die man auf gerösteten Brotscheiben serviert.
Nicole schloß sich ihm an. Dazu ließen sie sich einen Mourverdre servieren.
»Ein Hauch von Mistral«, lächelte Zamorra, nachdem ihre Gläser leise klirrend aneinandergestoßen waren.
Das Hauptgericht suchte Nicole aus. Poitrine de Veau, eine Kalbsbrust mit Tomaten und in Öl geschmorten Kürbissen, Dazu wollten sie einen Bellet trinken, einen berühmten Wein aus den Rebhügeln Nizzas.
Gerade als der Kellner das erste Glas eingeschenkt hatte, erloschen einige Lichter. Der große Raum fiel in violettes Halbdunkel.
»Aha, das Übliche«, murmelte Nicole stirnrunzelnd.
Sechs Mädchen waren zwischen den Tischreihen aufgetaucht und auf die Tanzfläche getreten. Unter einem dünnen Schleier, der vom Nacken über Brüste und Schoß herabfiel, schimmerten die nackten Körper.
»Sie sind ein bißchen mager«, sagte Nicole, dabei sah sie kaum hin, als der Tanz begann. »Man sollte ihnen einen Teller mit Essen hinschieben und sagen, setzt euch her und laßt das Gehopse.«
»Schauen Sie die Männer an, Nicole. Das Gehopse scheint für alle einen besonderen Reiz zu haben«, murmelte Zamorra lächelnd.
Der Tanz war zu Ende gegangen, und der Garcon hatte den ersten Gang abserviert, als die Stimme eines Ansagers einen neuen Auftritt ankündigte. »La Charmante Chansonette – Ines de Almagro«, schallte es durch den Raum. Aus dem Hintergrund der Bar trat eine Frau hervor. Ihr schwarzes Haar war schlicht zurückgekämmt.
Das blasse Gesicht und die bloßen weißen Arme bildeten einen starken Kontrast zu ihrem langen dunklen Kleid.
»Ich singe ein spanisches Volkslied.« Sie sagte das auf Französisch mit einer dunklen verhaltenen Stimme. Die Frau strahlte eine Grazie und Zurückhaltung aus, die Zamorra bestach.
Der Begleiter im Hintergrund schlug die Tasten einer Orgel an.
Nach einigen Takten begann die Frau zu singen. Spanische Laute, in einem weichen, verhaltenen Alt.
Zamorra lauschte gespannt. Ein eigenartiger Zauber schlug ihn plötzlich in seinen Bann. Dem Gesang haftete etwas Mystisches an.
Wie der leise, klagende Ton, den der Wind über Abgründe trägt, wirkte die Melodie des zarten, schwermütigen Liedes. Der Text des Liedes erzählte von einem Dorf, über dem ein Fluch lastet. Einem Dorf, aus dem alle Bewohner spurlos verschwunden
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