0012 - Der Dämonenknecht
erkundigte sich nach ihren Wünschen.
»Sind diese Rollen zu verkaufen?« fragte Zamorra und wies auf die Pergamentrollen im Schaufenster.
Der fette Zwerg bückte sich und angelte unter Ächzen und Stöhnen die Rollen zwischen den Antiquitäten hervor. Nach einem kurzen, abschätzenden Blick auf Zamorra und Nicole murmelte er, ohne mit der Wimper zu zucken: »Fünfhundert Franc.«
Zamorra nahm ihm eine der Rollen aus der Hand. Er breitete sie auseinander und sah handgeschriebene spanische Schriftzeichen.
Capitain General Don Franzisko Pizarro Fundator de Lima en 18 De Enero De 1535 Muerto en 26 De Juno De 1541.
Es bereitete Zamorra, der fließend Spanisch sprach, keine Schwierigkeit, die Worte zu entziffern.
General Franzisko Pizarro, Gründer Limas, am 18. Januar 1535.
Gestorben am 26. Juni 1541.
Eine steile Falte stand auf Zamorras Stirn. Wie gebannt starrte er auf die Pergamentrolle. Den einer Grabinschrift ähnelnden Worten folgten Schilderungen aus einer Zeit, die schon über vierhundert Jahre zurücklag. Ereignisse, die alle mit Pizarro zu tun hatten, dem Eroberer von Peru, dem Zerstörer des mächtigen Reiches der Inkas.
Ereignisse, die in keinen Geschichtsbüchern zu lesen waren.
»Fünfhundert Franc, Monsieur.« Die Stimme des Trödlers brachte Zamorra in die Wirklichkeit zurück.
Zamorra griff mechanisch in seine Brusttasche.
»Stop!« Nicole Duvals schmale Hand legte sich auf seinen Arm.
»Wir geben Ihnen hundert Franc für die Rollen«, wandte sich Nicole an den Händler.
Der fette Mann wand sich wie ein Wurm. »Hundert Franc? Madam? Ihr macht einen armen Mann aus mir. Ich selber habe die Rollen einem spanischen Edelmann für dreihundert Franc abgekauft.«
Nicole lächelte. Sie musterte den Händler von Kopf bis Fuß und wieder zurück. »Guter Mann, die Lüge steht Ihnen im Gesicht geschrieben. Ich denke, daß Sie für die Rollen vielleicht zehn bis zwanzig Franc gegeben haben.«
Der Zwerg hob beschwörend die Hände. Mit weinerlicher Stimme begann er zu jammern und zu klagen. Mit einem Schwall von Worten versuchte er Nicole zu überzeugen, daß er seinen Laden schließen müsse, wenn er nicht fünfhundert Franc für die Rollen bekäme.
Zamorra, der die Szene amüsiert beobachtete, glaubte echte Tränen in seinen Augen zu sehen.
Nicole wartete, bis dem Mann die Luft ausging und er nicht mehr weitersprechen konnte. »Hundert Franc, und keinen Sou mehr!«
Eine Weile wartete sie.
»Kommen Sie, Chef.« Nicole zwinkerte Zamorra zu, nahm seinen Arm und tat so, als wenn sie den Laden verlassen wollten.
Sie hatte sich nicht getäuscht. Kaum waren sie an der Tür, als sie auch schon die Stimme des Trödlers hörten.
»Also, gut, hundert Franc, aber morgen muß ich meinen Laden schließen. Und meinen Kindern kann ich kein Brot mehr kaufen. Meine ganze Familie wird elend verhungern müssen.«
»Nicole, Sie sind ein Gauner«, stellte Zamorra trocken fest, als er mit seiner Sekretärin und den Rollen den Laden verlassen hatte.
»Und Sie werden es nie lernen, mit solchen Leuten zu verhandeln«, seufzte Nicole.
***
Auf alle Fälle brauche ich ein Dach über dem Kopf, dachte Georges.
Er humpelte einen breiten, ansteigenden Auffahrtweg hinauf. Nach ein paar Schritten blieb er wieder stehen.
Hundegebell war an seine Ohren gedrungen.
Im Erdgeschoß des düsteren Gebäudes erhellten sich drei Fenster neben dem großen Haupteingang. Der linke Flügel der Tür öffnete sich, und ein ungewöhnlich großer und breitschultriger Mann mit einem kahlen Schädel tauchte in dem gelben Licht des Hintergrundes auf.
»Ist da jemand?« rief er. Noch ehe Georges sich melden konnte, hatte der Mann ihn entdeckt und kam langsam die breite Treppe herab. »Mein Name ist Discoud, ich hatte einen Autounfall«, erklärte Georges ihm. Zwei Schritte voneinander entfernt blieben beide stehen. Jetzt erst erkannte der Franzose sein Gegenüber richtig. Der Mann überragte ihn, der selber fast ein Meter neunzig groß war, noch um eine Haupteslänge. Schultern hatte der Kerl wie ein Stier.
Nicht zu glauben, dachte Georges, der sich jetzt selber ein wenig mickerig vorkam.
Stumm blickte der Riese auf ihn herab. Irgendwie schien Georges sein Mißfallen zu erregen. Erst nach einer langen Musterung knurrte er widerwillig: »Kommen Sie herein.« Damit wandte er sich abrupt um. Er schritt die Treppe hinauf und rief den immer noch wie irrsinnig bellenden Hunden ein paar beruhigende Worte zu.
Kein sehr freundlicher Empfang, dachte
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