0016 - In den Klauen der Vampire
zu der schwarzen Wand, die sich dem silbernen Licht in den Weg zu stellen schien. Der Mond war eine bleiche Scheibe am Himmel, warf seinen lichten Schleier über die Insel, und das leise Schwingen und Atmen des Waldes klang wie eine lockende Melodie.
Kitty verließ ihren Platz, vergaß, die Tür hinter sich zu schließen.
Ohne das geringste Zögern ging sie auf die dunkle Wand des Waldes zu. Das Gelände stieg sanft an, zwischen den schlanken Palmenstämmen war der Boden silbern gefleckt. Oben auf der Anhöhe türmten sich die Ausläufer der roten Felsen – geduckte Gnomen in der Finsternis. Kitty wußte, daß jemand dort oben zwischen den Steinen wartete, und sie ahnte die Gestalt, lange bevor sie sie sehen konnte.
Sie war wie in Trance.
Zwischen den Felsen blieb sie stehen. Der Mann lehnte schweigend an einem Palmenstamm. Ein schwarzer Umhang bauschte sich um seine Schultern, er lächelte, und Kitty erkannte mit einem leisen Schauer den Fremden aus ihrem Traum.
Seine gelben Augen blickten sie an, leuchteten im Triumph wie durchsichtiger Bernstein. Blutrote Lippen lächelten im geisterhaft bleichen Gesicht. Sein Arm streckte sich aus – und Kitty ging ohne Zögern auf ihn zu, bis ihre Hand die seine berührte.
Sie sah ihn an.
Und mit dieser neuen schlafwandlerischen Sicherheit wußte sie auch seinen Namen.
»Graf Chaldras?« fragte sie leise.
Er lächelte. Nickte. Seine Finger umspannten sanft ihr Gelenk.
»Du gehörst mir«, sagte er mit der dunklen Stimme, die sie kannte.
»Du wirst mir folgen. Du wirst mein Geschöpf sein. Ein Geschöpf der Nacht, der Finsternis.«
Kittys Blick konnte sich nicht lösen von den gelben Augen.
»Ja«, flüsterte sie. »Ja…«
Die roten Lippen lächelten weiter.
Graf Chaldras hatte sich aufgerichtet. Immer noch hielt er den Arm des Mädchens fest. Mit einer raschen Bewegung warf er den schwarzen Umhang zurück, öffnete das schwarze seidene Hemd über der Brust – und mit der gleichen blitzschnellen, sicheren Bewegung rissen seine scharfen Nägel eine Ader an seinem Hals auf.
Kitty begann zu zittern, als sie das helle sprudelnde Blut sah. Die gelben Augen des Grafen starrten sie an.
»Du wirst mir gehören«, wiederholte er leise und beschwörend.
»Dies ist deine Taufe! Die Taufe der Vampire! Du wirst mein Blut trinken, und dann gehörst du für immer der Finsternis…«
Das Mädchen schauerte.
Noch immer hielt sie der Bann umfangen. Tief in ihr wuchs bebender Schrecken, erwachte Widerstand – aber jetzt war es zu spät, noch gegen den dunklen Sog zu kämpfen.
Mit einem harten Ruck zog der Graf sie an sich.
Wie Eisenklammern hielten seine Hände sie gepackt, drückten ihren Kopf an seine Brust, und sie spürte heißes pulsierendes Blut auf den Lippen…
***
Bill Fleming erwachte nur wenige Minuten, nachdem Kitty das Haus verlassen hatte.
Er erwachte mit einem bohrenden Gefühl der Unruhe, das er sich nicht erklären konnte. Seufzend wälzte er sich herum, tastete nach dem warmen Körper des Mädchens – und fuhr im nächsten Moment erschrocken auf dem Bett hoch.
Kitty war nicht da.
Sie konnte erst vor kurzem aufgestanden sein, er sah noch den Abdruck ihres Kopfes auf dem Kissen – aber sie selbst war verschwunden. Bill atmete tief durch und strich sich das Haar aus der Stirn. Er machte sich klar, daß absolut kein Grund zur Sorge bestand, daß schließlich nichts Besonderes daran ist, wenn ein Mensch in der Nacht aufsteht – aber das Gefühl der Unruhe ließ sich trotzdem nicht vertreiben.
Zwei Minuten wartete er – dann schlug er das Laken zurück.
Aus einem Impuls heraus schlüpfte er nicht in den Bademantel, sondern zog seine Jeans an und streifte den leichten Segelpullover über den Kopf. Auf Zehenspitzen schlich er zu der Verbindungstür zwischen seinem und Kittys Schlafraum, öffnete sie vorsichtig – und stellte mit einem einzigen Blick fest, daß das zweite Bett unberührt war.
Sein nächster Weg führte ins Bad – doch auch dort war niemand.
Bill preßte die Lippen zusammen. Er sah sich um, überlegte, wo Kitty sein könnte – und dabei sprang ihm die offene Haustür förmlich in die Augen.
Er runzelte die Stirn.
Immer noch sah sein klarer, wissenschaftlich geschulter Verstand keinen Grund zur Besorgnis – doch in einer tieferen Schicht des Bewußtseins begann sich Furcht zu regen. Er machte einen Schritt auf die Haustür zu – und verharrte. Der Revolver fiel ihm ein, der in der Nachttischschublade lag. Er hatte ihn
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