0017 - Wolfsnacht
hatten.
***
Der Morgen zeigte sich den Feriengästen von seiner besten Seite.
Strahlend stieg die Sonne über dem Monte Baldo hoch und übergoß trotz dieser frühen Stunde die Landschaft und den kleinen Ort mit ihrem hellen, gleißenden Licht.
Professor Zamorra, der dank regelmäßigem autogenem Training mit verhältnismäßig wenig Schlaf auskam, war bereits erwacht und hatte seine Morgentoilette hinter sich. Er trat auf den Balkon, um sich die Umgebung anzusehen, in die ihn und seine Assistentin Nicole der Zufall verschlagen hatte.
Was er sah, stimmte ihn versöhnlich. Bunte Ruder- und Motorboote schaukelten in dem kleinen Hafen unterhalb des Hotels auf dem Wasser, und die Bootsvermieter waren bereits dabei, die Planen von ihrem Broterwerb zu entfernen.
Zwar waren bereits einige Menschen in den engen Straßen unterwegs, doch sie gehörten der einheimischen Bevölkerung an. Die Touristen lagen wohl noch in ihren Betten und warteten auf die richtige Tageshitze, die wiederum die Menschen von Limone in den Schatten trieb, soweit es ihre Zeit zuließ.
Der Professor schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und schaute über den See. Das Panorama war herrlich, anders konnte man es wirklich nicht ausdrücken. Deutlich konnte er am anderen Seeufer den Ort Malcesine ausmachen, der stolz darauf sein konnte, daß sich auch Goethe auf einer seiner Italienreisen hier aufgehalten hatte.
Der Professor wandte sich um, ging zurück ins Zimmer und nahm zum erstenmal bewußt seine engste Umgebung in Augenschein. Das Zimmer war geräumig und gepflegt. Das Bett, in dem er sehr gut geschlafen hatte, war mindestens ein Meter achtzig breit und zwei Meter lang. Eine richtige Spielwiese, dachte Zamorra und grinste dabei.
Verborgen von einem Wandvorhang, der allerdings im Augenblick halb geöffnet war, entdeckte der Professor eine Verbindungstür zum Nebenzimmer, das von Nicole Duval belegt war.
Mit leisen Schritten näherte sich der Professor dieser Tür und legte sein Ohr an die Füllung. Da er kein ungewöhnliches Geräusch vernehmen konnte, schloß er, daß seine Assistentin noch schlief. Zufrieden lächelte er vor sich hin. Bei seinen Untersuchungen, die er anstellen wollte, wäre sie ihm ohnehin etwas lästig gefallen mit ihren begreiflichen Zweifeln an der Existenz von Geistern und Dämonen.
Der Professor ging zum Schrank und holte seine Reisetasche heraus. Er wühlte darin herum und fand die Schatulle mit seinem Amulett. Fast andächtig öffnete er sie. Geheimnisvoll funkelte ihn das Silberstück aus seinem roten Samtbett an. Er verspürte immer wieder erneut Bewunderung und Ehrfurcht, wenn er diesen Talisman, der seine Verbindung zu den Mächten der Finsternis darstellte, aus der Schatulle nahm und sich unter seinen Schutz begab.
Zamorra nahm die Kette und legte sich das Amulett um den Hals.
Sofort verspürte er da, wo das Amulett auf seiner nackten Haut ruhte, ein rätselhaftes aber angenehmes Brennen, das in seinen Körper auszustrahlen schien und ihn ganz erfüllte. Der Professor erlebte wie schon so oft, wie sich plötzlich seine Sinne öffneten, um bereit zu sein für Reize, auf die kein normaler Sterblicher reagieren konnte.
Dann streifte Zamorra sich ein leichtes Polohemd über und suchte sich aus der Reisetasche seine bequemen Urlaubs- und Sommerjeans. Bevor er sie anzog, wählte er auf seinem Zimmertelefon die Nummer der Rezeption und bestellte sein Frühstück. Signorina Duval solle man schlafen lassen. Sie würde sich schon melden.
Während er sich die Jeans zuknöpfte, angelte Zamorra mit einem Fuß nach einem Paar leichter Sandalen, die er sich extra für die sizilianische Hitze gekauft hatte. Wer weiß, wann er endlich zu seinem wohlverdienten Urlaub kommen würde.
Er schaute sich noch einmal um, ob er nichts vergessen hatte, und trat hinaus auf den Gang. Er schloß seine Zimmertür ab und schlenderte hinunter in den Frühstücksraum des Hotels.
Der Weg führte ihn durchs Foyer, und dabei bemerkte er, daß man den Teppich vor der Rezeption entfernt hatte. Er blickte sich um und suchte den Nachtportier. Doch der war nirgendwo zu sehen.
Auf seine Frage erklärte ihm ein junger Mann hinter dem Rezeptionspult, daß der alte Tonio, so hieß der Portier, auf sein Zimmer gegangen war und nun ausschlief. Seine Nachtschicht wäre immer um sechs Uhr zu Ende.
Zamorra ließ sich von einem Kellner seinen Tisch zeigen und schob den Stuhl so, daß er durch die weit geöffneten Fenster des Saales das herrliche
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