0017 - Wolfsnacht
Augen aus dem Kopf starren.
Auch Nicole bewunderte das Panorama, das sich ihr von ihrem Zimmer aus bot. Wenn Sizilien ebenso schön ist, dann wäre der Urlaub traumhaft.
Ihre Gedanken wurden durch ein Geräusch unterbrochen, das sie jenseits der Wand im Nebenzimmer vermutete. Sie blickte sich suchend um, gewahrte den Wandvorhang, ging darauf zu und zog ihn beiseite. Wie sie es erwartet hatte, fand sie die Tür, die in das Zimmer ihres Chefs führte.
Vorsichtig drückte sie auf die Klinke. Die Tür war verschlossen.
Augenblicklich verstummten auch die Geräusche, die sie gehört hatte. Nicole bückte sich und schaute durch das Schlüsselloch. Auch von der anderen Seite steckte kein Schlüssel. Doch ihr Versuch, etwas zu erkennen, war ergebnislos.
Wieder hörte sie ein Scharren in dem Raum nebenan. Eine Schranktür schwang quietschend auf, wurde wieder geschlossen.
Ein Schatten glitt am Schlüsselloch vorbei. Eine Schublade wurde aufgezogen.
Nicole richtete sich auf. Sollte der Professor von seinen Gewohnheiten abgekommen sein?
Entschlossen ging sie zum Zimmertelefon und rief die Zentrale.
»Prego? Sie wünschen, Signorina?«
»Verzeihung, hat Signore Zamorra schon gefrühstückt? Wenn ja, können Sie mir dann sagen, wo er hingegangen ist?«
»Si, Signorina. Signore Zamorra hat nach dem Frühstück das Haus schon sehr früh verlassen. Wo er hingegangen ist, hat er nicht hinterlassen, jedoch soll ich Ihnen etwas bestellen. Sie möchten bitte einen Signore Fleming in Rom anrufen. Sie wüßten Bescheid.«
»Ach ja. Danke sehr. Sollte der Professor mittlerweile eintreffen, dann benachrichtigen Sie mich bitte. Außerdem möchte ich in einer halben Stunde frühstücken.«
»Gern, Signorina. Stets zu Ihren Diensten.«
Nachdenklich legte Nicole den Hörer auf die Gabel. Erneut hörte sie von nebenan Schritte. Es hörte sich an, als würde jemand in dem Zimmer etwas suchen. Aber was?
Und vor allen Dingen wer? Wer konnte denn wissen, daß sich Professor Zamorra mit seiner Assistentin am Gardasee aufhielt?
Barfuß schlich Nicole zur Tür, die auf den Gang hinausführte.
Lautlos öffnete sie sie, streckte den Kopf hinaus und überschaute den Gang.
Niemand war zu sehen. Da in dem Gang Dämmerlicht herrschte, konnte sie erkennen, daß die Tür von Zamorras Hotelzimmer geschlossen war.
Wie eine Katze huschte sie hin und preßte ein Ohr gegen das Holz.
Deutlich vernahm sie, wie sich jemand in dem Raum bewegte. Dann verstummten die Geräusche. Anscheinend hatte der Eindringling gefunden, was er gesucht hatte.
Nicole legte die Hand auf die Klinke und drückte sie hinunter. Sie spürte, wie die Tür nachgab und sich öffnete. Ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Gang.
Da wurde ihr die Tür urplötzlich aus der Hand gerissen. Da sie darauf nicht vorbereitet war, stolperte sie unwillkürlich hinterher und in das Zimmer ihres Chefs hinein.
Ehe sie etwas Genaueres erkennen konnte, preßte sich ihr eine eiskalte Hand auf den Mund. Eine andere Hand packte sie brutal am Handgelenk, ihr Arm wurde herumgedreht, daß sie vor Schmerzen fast aufschrie, und dann wurde sie nach vorn gestoßen.
Wie durch einen Nebel hörte sie, wie hinter ihr die Tür wieder ins Schloß fiel.
Eine Stimme zischte: »Einen Laut, und Sie sind nicht mehr unter den Lebenden. Bemühen Sie sich nicht, unbeteiligt zu wirken. Ich weiß genau, wann Sie schreien werden. Hüten Sie sich!«
Nicole wurde herumgedreht und blickte in eine haßentstellte Fratze. Ein vor Eiseskälte brennender Blick durchbohrte sie. Er drang in sie ein, ergriff ihr Bewußtsein und ließ sie willenlos werden. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Hilflos mußte sie miterleben, wie etwas Unbekanntes von ihrer Persönlichkeit Besitz ergriff.
Nach einigen Sekunden wurde sie losgelassen. Ihre Beine waren völlig kraftlos. Fast wäre sie umgesunken, wenn sie ihr Gegenüber nicht gehalten hätte. Daß sie zu einem Sessel geführt wurde und hineingestoßen wurde, lag jenseits all ihrer Empfindungen.
Nur diese Augen waren ihr bewußt. Sie schienen sie zu beherrschen, zu verschlingen. Doch nicht Gier lag in diesem Blick, sondern Haß, abgrundtiefer Haß. Sie schauderte, wehrte sich jedoch nicht dagegen.
Jetzt konnte sie auch das Gesicht in sich aufnehmen. Sie konnte es nur mit dem Begriff aristokratisch belegen. Eine schmale, gerade Nase, ein feingeschnittener Mund, ein energisches Kinn, Über der hohen Stirn volles und schwarzes Haar. Doch alles wurde von den Augen
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