002 - Der Hexenmeister
schauderte. Laura …
»In meinem Traum hat sie auch so geheißen«, sagte ich.
»So was Verrücktes!« rief Patrick.
»Aber nein«, widersprach Hervé, »das ist gar nicht verrückt. Ihr habt das Mädchen mal irgendwo zusammen kennen gelernt und sie dann wieder aus den Augen verloren. Der Name ist dir, Patrick, wieder eingefallen, als du eben eine Frau gesehen hast, die ihr ähnlich war. Das ist doch nicht weiter verwunderlich. Und als du, Georges, von ihr geträumt hast, ist die dabei ihr Name eingefallen. Ihr habt beide noch unter dem Eindruck gestanden, den die Tote bei euch hinterlassen hat. Jetzt erzähl weiter. Was geschah dann in deinem Traum, Georges?«
»Ich bin schon fast am Ende. Der Henker hat mir eine Lanze in die Brust gestoßen, und dann verlor ich die Besinnung.«
»Das war ja wirklich ein entsetzlicher Traum«, bemerkte Patrick.
»Ja, und das Schlimmste war, dass er so echt wirkte, gar nicht wie ein Traum. Ich hätte schwören können, dass ich das alles wirklich erlebte. Passiert, euch das auch, dass ihr von Ereignissen aus dem 15. Jahrhundert träumt? Das alles hat sich nämlich am 6. Juni 1408 ereignet.«
Lionnel fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Manchmal passiert mir das auch, übrigens kam mir die Ertrunkene auch bekannt vor. Wahrscheinlich habe ich nichts davon gesagt, weil es mir erst hinterher auffiel.«
Hervé begann zu lachen. »Ihr habt ja wirklich merkwürdige Träume.«
»Ja, sehr merkwürdig«, sagte Patrick mit düsterer Miene. Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Mir ist eben auch etwas Seltsames passiert. Bis jetzt dachte ich, es sei der Sekt gewesen, den wir getrunken haben. Eben bin ich auf der Suche nach dir hier durchs Viertel gegangen. Ich überquerte die Seine und kam zum Platz von Notre-Dame. Plötzlich wurde alles taghell um mich. Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber während dieser Sekunden war heller Tag um mich. Unzählige Menschen waren auf dem Platz versammelt. Alles ging so schnell, dass ich nicht viel sah. Aber in diesem kurzen Augenblick habe ich einen Scheiterhaufen bemerkt mit einer Gestalt darauf, die an einen Pfahl gebunden war. Du kannst dir also vorstellen, Georges, wie sehr mich das, was du eben erzählt hast, beeindruckt hat.«
Wir schwiegen und sahen uns an. Hervé lachte erneut, doch sein Lachen klang nicht sehr fröhlich. Rasch wurde er wieder ernst.
»Da gibt‹s gar nichts zu lachen«, sagte er. »Ich habe es nur getan, weil mich auch etwas erschreckt hat. Während Lionnel und ich allein waren, habe ich aus dem Fenster gesehen. Plötzlich wurde es draußen taghell. Zwei oder drei Sekunden lang, mehr nicht, war es draußen Tag. Und die Häuser sahen ganz anders aus – so wie auf alten Bildern.«
»Tatsächlich?« rief ich.
»Ja. Aber diese Halluzination hat nur ein paar Sekunden gedauert.«
Wir wussten nicht, was wir sagen sollten.
»Ich koche noch mal Kaffee«, erklärte Hervé dann. Er ging in die Küche.
Patrick ließ sich in einem Sessel nieder, und Lionnel nahm auf der Couch Platz. Dabei fiel sein Blick auf die Seine-Figur.
»Seht mal!« rief er. »Die sieht ja jetzt ganz anders aus!«
Tatsächlich! Die kleine Bleifigur schien sich auf einer Seite gelblich verfärbt zu haben. Ich ergriff sie und rieb mit dem Jackenärmel ein paar Mal über das Metall, das augenblicklich einen wunderbaren Glanz annahm. Es war kein Zweifel möglich – das Männchen hatte sich zur Hälfte in Gold verwandelt.
»Das wird wirklich immer merkwürdiger«, sagte Patrick.
»Es scheint fast«, bemerkte Lionnel, »als ob die Figur …«
Er verstummte. »Was willst du sagen?« fragte Patrick.
»Nichts«, erwiderte Lionnel. »Es war ein zu blöder Einfall.«
Mehrere Minuten lang betrachteten wir schweigend die kleine Figur. Dann blickte Lionnel in Richtung Küche.
»Wo bleibt denn Hervé?« fragte er. »Er wollte doch Kaffee kochen.«
Wir gingen in die Küche. Er war nicht da. Im Bad war er auch nicht.
Hervé war verschwunden.
Schweigend sahen wir uns an. Wir konnten es einfach nicht fassen, dass Hervé nicht mehr da war. Dass er nicht ins Zimmer zurückgekommen war, wussten wir ganz genau. Das Küchenfenster war geschlossen, und das Bad hatte kein Fenster, sondern nur eine Entlüftungsanlage.
»Unglaublich«, stieß Lionnel hervor.
»Das gibt‹s doch nicht!« rief Patrick.
Wir waren alle drei sehr blass, als wir ins Zimmer zurückkehrten.
»Was sollen wir tun?« fragte Lionnel.
»Nichts«, erwiderte Patrick. »Georges ist ja
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