002 - Der Unheimliche vom Todesschloß
Augen hingen an Jacinthe Tannot, dem Mädchen, das ihm Kaffee und Weißbrot servierte.
Jacinthe war ein reizvolles schlankes Mädchen mit langem weißblondem Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte. Ihre braunen Augen hatten ein warmes Feuer.
»Sie bleiben lange in unserem Dorf, Monsieur Colombier?« erkundigte sie sich.
»Drei Wochen. Ich mache Urlaub.«
»In diesem Gebiet der Provence?« staunte Jacinthe. »Da ist es im Rhonedelta schöner, Monsieur. Bei uns sind nur Sümpfe und bergiges Land. Außerdem ist es jetzt im Oktober oft sehr stürmisch.«
»Ich weiß!« Adrien lachte. »Aber wenn ich Sie so ansehe, freue ich mich, daß ich ausgerechnet hier in La Chenille Ferien mache.«
Jacinthe errötete. »Sie machen mich verlegen, Monsieur.«
»Was gibt es außer Ihnen für Sehenswürdigkeiten hier?« fragte Adrien und beugte sich zu dem hübschen Mädchen vor.
»Nichts«, entfuhr es Jacinthe.
»Ich denke, hier soll ein Chateau sein?«
»Ach, die Burg meinen Sie!« Jacinthes Stimme klang gedehnt. »Da darf niemand rein.«
»Wieso? Sind da Gespenster drin?«
»Nein. Vor einem guten halben Jahr sind dort Amerikaner eingezogen. Und seitdem stehen überall Verbotsschilder herum. ›Achtung, bissiger Hund‹ und >Vorsicht, Fußangeln‹, ›Weitergehen bei Strafe verboten‹.«
Adrien Colombier grinste. »Was sind das für Amerikaner?«
Jacinthe sah sich um. Ihr Vater, der Wirt von La Marche, hatte in den Hinterräumen des Wirtshauses zu tun.
»Verwandte der verstorbenen Comtesse du Faux. Sie war gebürtige Amerikanerin. Ihr Neffe, ein Mr. Rattigan, hat das Chateau geerbt.«
»Er wohnt allein in der Burg?«
»Nein, mit seiner Frau.« Schwärmerisch schlug Jacinthe die Augen auf. »Das ist eine rassige Person, Monsieur. Brünett, bildschön, elegant… Und wie sie auf dem Pferd sitzt! Einfach himmlisch.«
»Ich werde feststellen, ob sie eine Sehenswürdigkeit wie Sie ist, Mademoiselle.« Adriens Lächeln vertiefte sich. »Ist Mr. Rattigan eifersüchtig? Vielleicht kann ich Madame den Hof machen und auf diese Weise das Chateau betreten. Ich habe viel übrig für alte Gemäuer.«
»Non, Monsieur!« Jacinthe schüttelte den Kopf. »Das wird Ihnen nicht gelingen. Die Rattigans wohnen ganz allein da oben. Unser alter Briefträger Fernand Rodin wollte einmal das Chateau betreten, da wäre er beinahe von den beiden Bluthunden zerrissen worden.«
Nachdenklich schwieg Adrien Colombier.
Die hübsche Jacinthe konnte ihn noch so sehr warnen – er würde nichts unversucht lassen, um diese beiden Amerikaner kennenzulernen. Er war als junger Geologe sehr an der alten Burg interessiert. Sie sollte aus dem vierzehnten Jahrhundert stammen. Er hatte sich, ehe er La Chenille als Urlaubsort wählte, genau über das Chateau du Faux informiert.
»Und wann gehen Sie mit mir aus?« fragte er.
»Unmöglich, Monsieur. Mein Vater duldet es nicht, wenn ich mich mit Fremden außerhalb des Wirtshauses treffe. Er ist sehr streng.«
»Aber ich bin doch eine Ausnahme, Mademoiselle.« Je länger er mit Jacinthe sprach, um so mehr gefiel sie ihm. »Heute abend?«
»Ich singe im Kirchenchor. Jeden Mittwoch abend. Und heute ist Mittwoch, Monsieur.«
»Könnte der Chor nicht ein einziges Mal ohne Sie auskommen, Jacinthe?« erkundigte sich Adrien frech.
Jacinthe schüttelte stumm den Kopf.
Ihr Blick fiel zufällig aus dem Fenster.
»Oh, da kommt ja Madame Rattigan!« rief sie.
***
Eliza Webster galt im Dorf als Madame Rattigan. Ihr Französisch war fließend.
»Madame, was darf es sein?« Der Leiter des Dorfpostamtes machte eine tiefe Verbeugung.
Der Schmelz ihres Lächelns war beeindruckend. Sie hatte ein prachtvolles, gepflegtes Gebiß, und ihre grauen großen Augen, umrahmt von langen Wimpern, sprühten vor Lebensfreude.
»Die Post natürlich, Monsieur. Heute hole ich sie!« Sie warf das lange dunkle Haar in den Nacken. Bisher hatten alle Auftraggeber prompt bezahlt. Auf ihrem Konto bei einer Schweizer Bank sammelten sich große Summen an. Und dieser Dummkopf Rattigan wußte nichts davon. Sie ließ ihn nie in die finanziellen Angelegenheiten ihrer »Firma« blicken.
Irgendwann würde sie ihm einen Fußtritt geben, wenn sie ihn nicht mehr brauchte.
Je länger sie mit Rattigan zusammen lebte, um so widerlicher fand sie ihn.
Der Leiter des Postamtes händigte Eliza Webster einen kleinen Stoß Briefe aus. »Und mehr ist es diesmal nicht?« fragte sie erstaunt.
»Leider,
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