002 - Flucht von Phönix
»Dennoch will es mir nicht in den Kopf, dass ein Mann wie er, der sich mit ein wenig Geschick alle Daten hätte unter den Nagel reißen können, darauf verzichtet.«
»Keine Zeit«, vermutete der Survival-Spezialist.
»Nein, daran glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass er die Daten bei sich geführt hat. Es muss ihm gelungen sein, sie einem Mittelsmann zu übergeben. Wenn wir Glück haben, erwischen wir den noch, bevor er die Daten Flibo zuspielen kann. Was ist mit diesem Reporter, bei dem Sie ihn erwischt haben?«
Chan winkte ab. »Nichts. Nelles ist in das Haus geflohen, weil die Diebstahlsicherung von Bernsteins gestohlenem Gleiter ihn dorthin geführt hat. Den Mann habe ich bereits überprüft. Alles in Ordnung mit ihm.«
»Nun«, verkündete Fisher und dehnte seine Worte auf eine Unheil ankündigende Art, »dann verlange ich von Ihnen, dass Sie mir den wahren Mittelsmann liefern. Sie haben alle Vollmachten. Liefern Sie mir den Mann tot oder lebendig, Hauptsache, Sie liefern ihn mir. Und hoffen Sie in unser aller Interesse, dass er die Daten noch nicht an Flibo weitergegeben hat. Wir verstehen uns, nicht wahr? Das war alles. Sie können gehen.«
Chan erhob sich und schritt zur Tür. »Urlaub ade«, murmelte er.
»Was wollten Sie sagen?«, fragte Fisher grinsend.
»Nichts«, entgegnete der Survival-Spezialist gepresst und verließ lautlos fluchend das Büro.
*
Rastlos streifte Pieto durch das Dorf. Nach dem Ende seiner Wache hatte sich die bohrende Unruhe in seinem Inneren noch verstärkt.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zu den gefangenen Fremden zurück. Er konnte sich nicht damit abfinden, dass sie Dämonen sein sollten und er hatte mehr als genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken.
Für ihn stellten sie etwas ganz anderes dar: Die einzige Chance, seine Träume nach so vielen Jahren untätiger Sehnsucht möglicherweise zu verwirklichen. Er konnte sich mit seinem bisherigen Leben nicht abfinden und er würde es niemals können. Er war nicht wie die anderen; es gab eine unsichtbare Mauer, die ihn von seinen Stammesbrüdern trennte.
Im Gegensatz zu ihnen fühlte er sich nicht dazu geboren, ein alles in allem langweiliges Leben als Jäger zu führen. Er wollte sich nicht irgendwann ein Weib nehmen und den Rest seiner Tage damit verbringen, das Schattentor zu bewachen und Worpas oder andere Tiere zu jagen.
Statt dessen wollte er etwas von der Welt sehen. Seine ganze Sehnsucht war darauf gerichtet, irgendwann das Dorf zu verlassen und alle Wunder zu erleben, die die Welt zu bieten hatte.
Wenn manchmal ein Magier in ihr Dorf kam, um nach den Kranken und Alten zu schauen, dann lauschte Pieto stets mit verklärtem Gesicht seinen Erzählungen.
Die Magier wussten wundervolle Dinge zu berichten. In ihren Schilderungen wimmelte es nur so von großen, prunkvollen Städten, von mächtigen Reichen, von Raubtieren, die Pieto sich nicht einmal vorzustellen vermochte und von Kriegen, die um Macht und Reichtum geführt wurden.
Wie oft hatte er schon einen der Magier heimlich gefragt, ob er ihn begleiten dürfe, aber die Antworten waren stets gleich gewesen. Er besäße keine magische Kraft und für einen Diener sei er noch zu jung und unerfahren. Jedes mal war er um eine Hoffnung ärmer zurückgeblieben.
Die Fremden aber boten ihm eine neue Chance ganz anderer Art.
Pieto zweifelte nicht mehr daran, dass sie selbst nur Opfer der finsteren Mächte aus der Schattenzone waren. Irgend etwas mussten sie mit den Dämonen zu tun haben, schließlich waren sie aus dem Schattentor gekommen, aber sie waren selbst keine Dämonen. Es wäre ein Verbrechen, sie zu töten und, viel schlimmer noch als das, es würde ihn auch dieser – vielleicht seiner letzten – Chance berauben, mehr von der Welt zu erleben.
Im Dorf war es still geworden. Die meisten seiner Stammesbrüder hatten sich zum Schlafen niedergelegt. Pieto war froh darüber. So war er mit seinen Gedanken allein und konnte ungestört über alles nachdenken. Es gab ohnehin niemanden, mit dem er über seinen Gewissenskonflikt sprechen konnte, obwohl er im Augenblick nötiger denn je jemanden benötigt hätte, dem er sich anvertrauen konnte. Nicht einmal seine Mutter, die von der Sehnsucht in seinem Herzen nach so vielen Jahren des Zusammenlebens wissen mochte, würde ihm Verständnis entgegenbringen, wenn sie von seinen gegenwärtigen Überlegungen auch nur etwas ahnte.
Erst als ein barscher Zuruf Pieto stoppte, erkannte er, dass er unbewusst die
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