002 - Flucht von Phönix
Verbissen klammerte Pieto sich an dem schmalen Felsvorsprung fest. Trotzdem spürte er, wie seine Finger feucht wurden und von dem glatten Stein abzurutschen drohten. Seine Fingernägel brachen ab. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte, als ob glühende Nadeln in sein Fleisch gebohrt würden und mit jedem Atemzug glaubte Pieto, kochende Lava einzuatmen. Für einen Moment wurde der verlockende Gedanke, sich einfach fallen zu lassen, übermächtig in ihm. Der Fall würde nicht lange dauern und seine Schmerzen würden für immer verlöschen.
Er unterdrückte den selbstmörderischen Gedanken sofort wieder. Noch konnte er sich an dem Felssims festhalten und er würde bis zum letzten Atemzug um sein Leben kämpfen. Zugleich aber wusste er, dass es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis seine Kräfte ihn endgültig verlassen würden, als seine tastenden Füße endlich einen Halt fanden.
Schwer atmend lehnte der junge Bulowa sich gegen die Felswand. Er zitterte am ganzen Körper, aber mit jedem Atemzug schien er neue Kraft in seinen geschundenen Körper zu pumpen.
Nach einigen Minuten fühlte er sich kräftig genug, um weiterzuklettern. Nicht viel mehr als eine Manneslänge lag bis zum Gipfel der Felswand noch vor ihm. Ohne sein Abrutschen hätte er es schon längst geschafft. So dauerte es noch einige qualvolle Minuten, bis er sich endlich mit letzter Kraft über die Kante ziehen konnte. Er hoffte inbrünstig, dass er leise genug gewesen war, eventuelles Jagdwild nicht verscheucht zu haben.
Lautlos rollte Pieto sich im Schutz des hohen Grases einmal um die eigene Achse, um von dem Abgrund wegzukommen. Erst dann hob er den Kopf, um sich umzuschauen.
Fast wäre ihm ein freudiger Aufschrei herausgerutscht. Seine Kletterei hatte sich gelohnt und das entschädigte ihn für alle Schmerzen.
Kaum hundert Meter von ihm entfernt wälzte sich ein gewaltiges Worpa im Schlamm eines Tümpels. Ein gigantischer Koloss, groß genug, das Dorf für mehr als einen Monat mit Fleisch zu versorgen.
Pieto kroch an den Abgrund zurück und gab seinen Begleitern das verabredete Zeichen. Er konnte sie nicht sehen, aber er wusste auch so, dass sie sich unter dem dichten Blätterdach nun den Hängen nähern würden, die von den anderen Himmelsrichtungen her zu dem Tümpel führten.
Er selbst hatte diesen Weg nicht nehmen können. Worpas besaßen ein so feines Gehör, dass sie seine Annäherung zwangsläufig bemerkt hätten. Trotz ihrer plumpen Gestalt konnten sie beim Laufen eine ungeheure Geschwindigkeit entwickeln. Es wäre unmöglich gewesen, ein Worpa dann noch einzuholen.
So aber konnten sie sich die natürliche Scheu und mangelnde Intelligenz der Tiere zunutze machen. Wenn die Jäger von allen Seiten zugleich kamen, würde das Worpa an Ort und Stelle verharren.
Ganz anders hätte es ausgesehen, wenn eine Croa oder ein anderes Tier am Tümpel gewesen wäre. In diesem Fall wären die Jäger anders vorgegangen und deshalb hatte Pieto die Kletterei auf sich nehmen müssen.
Eigentlich war er mit seinen neunzehn Jahren noch zu jung, um an der Jagd teilzunehmen, aber da er der geschickteste Kletterer des ganzen Stammes war, hatte man ihm dieses Sonderrecht eingeräumt. Er betrachtete diesen Vertrauensbeweis als eine hohe Ehre.
Es dauerte nicht lange, bis er seine Stammesbrüder sah. Ohne jede Tarnung näherten sie sich dem Tümpel.
Auch das Worpa hatte ihre Annäherung längst bemerkt. In dem sinnlosen Bemühen, sich vor ihnen zu verbergen, wühlte es den Schlamm noch mehr auf, aber natürlich war es für ein Tier seiner Größe unmöglich, sich auf diese Art im Boden einzugraben. Unruhig peitschte sein Schwanz das Wasser.
Als die ersten Jäger das Tier erreicht hatten, sprang auch Pieto auf und rannte darauf zu. Einer seiner Stammesbrüder reichte ihm sein Messer, das er zum Klettern hatte ablegen müssen.
In einer bei seiner Größe unmöglich erscheinenden Bewegung fuhr das Worpa herum. Sein gewaltiger Schwanz peitschte durch die Luft. Pieto hätte die Gefahr fast zu spät erkannt. Im letzten Moment ließ er sich zur Seite fallen. Kaum eine Armlänge neben ihm hämmerte der Schwanz auf den Boden und zermalmte Gras und kleinere Büsche unter sich.
Mit einem gewaltigen Satz brachte sich Pieto aus der unmittelbaren Gefahrenzone.
Einige seiner Stammesbrüder hatten bereits begonnen, an dem mit schier unzerstörbaren Schuppen bedeckten Körper des Tieres empor zu klettern. Die handlangen Dornen, die eigentlich zum Schutz des Worpas
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