0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
das Poltern.
»Ich wusste, dass es Mauro ist«, keuchte Aquila, »man kann ihn nicht länger als zwei oder drei Nächte unangebunden lassen, sonst kriegt er wieder seinen Koller.«
Gino Modena nickte. Dicht vor der Tür, die unter den Hieben des Geisteskranken zitterte, machte er halt. Sekundenlang verharrte er.
Das Unterfangen des blonden Patienten war sinnlos. Er hätte das Doppelte an Kraft aufbieten mögen – die Türen in diesem Haus waren Spezialanfertigungen, die jedem Zerstörungsversuch standhielten.
Modenas Hand näherte sich dem Türgriff, als wieder einer der schrecklichen Schreie ertönte. »Ich mache auf«, wandte er sich halb zu Aquila um, »bleibe am besten zwei Meter hinter mir, damit du ihn auffängst, falls er mir entkommt.«
»Soll ich lieber nach vorn…«
»Ach, Unsinn«, lächelte Modena und stieß die Tür auf.
Er bekam sie nur spaltbreit auf, denn auf der anderen Seite tobte Mauro, der sich jetzt darauf verlegt hatte, das Öffnen der Tür mit seinem gesamten Körpergewicht zu verhindern. Modena zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen, nahm die Schultern hoch und warf sich mit aller Wucht gegen das Türholz.
Sie flog förmlich in den Raum, denn Mauro war inzwischen gedankenschnell zur Seite gewichen. Jetzt stolperte er über den Pfleger hinweg. Modena versuchte, ihn am Bein zu packen, erwischte aber nur den Stoff der Pyjamahose. Die ging mit einem trockenen Geräusch kaputt. Modena hielt nur ein Stück gestreiften Stoff in der Faust.
Mauro rannte auf Pietro Aquila zu. Sein Gesicht war verzerrt, spiegelte nackte Angst; aber für den breitschultrigen Pfleger war es ein Ausdruck der Anfallssymptome. Er schaute den Wahnsinnigen an, um seine nächste Reaktion zu berechnen. Dabei entging ihm jedoch nicht, wie sich Modena im Hintergrund aufrappelte und herübergelaufen kam.
»Stehen bleiben, Mauro!«, rief Aquila.
»Du Hund!« Der Kranke stieß es mit hoher, heiserer Stimme aus.
Im nächsten Moment hatte er den Mann mit dem weißen Kittel erreicht, duckte sich und schlug nach ihm.
Seine Bewegungen fielen plump aus, und doch erreichten sie ihren Zweck. Aquila packte zu. Er bekam Mauro an den Hüften zu fassen und riss ihn mit sich zu Boden.
Aber er konnte nicht verhindern, dass er eine Reihe von Schlägen in den Unterleib erhielt. Die raubten ihm für einen Augenblick die Luft und das Handlungsvermögen – genug für den Irren, sich loszukämpfen und weiterzuhasten.
Gino Modena war jedoch heran. Er erkannte, dass er sehr flink und bestimmt sein musste, wenn er die Flucht des blonden Patienten noch verhindern wollte. Daher streckte er die Arme vor und vollführte einen wahren Hechtsprung. Diesmal erwischte er die Beine des Aufgebrachten tatsächlich.
Gleich darauf war auch Aquila zur Stelle, der sich von den Tiefschlägen einigermaßen erholt hatte. Mit einem Fluch warf er sich auf Mauro und keilte dessen Oberkörper fest.
Obwohl er sich nach Kräften sträubte, brachten sie ihn in das Zimmer zurück. »Nein«, brüllte er, »ich… ich will … nicht!«
Mauro bäumte sich geradezu unter ihrem Griff auf. Sie mussten sich beide vollständig darauf konzentrieren, den Wahnsinnigen auf das Bett zu legen und mit bereits am Rahmen befestigten Lederriemen festzubinden. Er schrie und weinte. Aquila redete in ruhigem Tonfall auf ihn ein, aber es schien unmöglich, ihn zu besänftigen.
Gino Modenas Blick fiel auf die Wand. Dort zeichnete sich nicht mehr die grauenvolle Maske ab, die Mauro angegrinst hatte, aber der grünlich schimmernde Fleck war noch zu sehen.
»So eine Schweinerei«, brummte Aquila, der den Fleck ebenfalls ausgemacht hatte. »Möchte wissen, wie er das fertiggebracht hat.«
»Nein«, keuchte Mauro, »nein, helft mir…«
»Ruhig, nur ruhig«, meinte Pietro Aquila und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Doch dadurch wurde es auch nicht besser. Mauro drehte und wand sich, soweit ihm die Fesseln dies erlaubten, und stieß unartikulierte, angstvolle Laute aus.
»Pietro«, sagte Modena. Er deutete mit dem Zeigefinger zur Decke.
»Meinst du die Risse? Ich glaube, die waren vorher auch schon da.«
»Bist du sicher?«
»Ziemlich, Gino.« Aquila ließ den Geisteskranken los und wandte sich der Türe zu. »Komm, vorerst gibt es für uns nichts mehr zu tun. Die Hauptsache ist, er kann sich nicht wehtun.«
Sie unternahmen einen Rundgang durch die Stationen vier und fünf. In den Einzel- und Gemeinschaftsschlafräumen, in denen ähnlich schwache Lampen wie in Mauros Zimmer
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