0027 - Die Grotte der Gerippe
sich aus den Gängen, trieben die Skelette, die in alle Richtungen geflohen waren, wieder zurück – doch auch in der großen Grotte begann jetzt die Decke zu knirschen.
Zamorra sah die breiten Risse, die sich durch die hängenden Felsen zogen.
Gleichzeitig, sah er, als er den Kopf herumwarf, daß allein aus dem goldenen Tor noch kein Staub quoll, und er handelte instinktiv und ohne lange zu überlegen.
»Mir nach!« rief er Bill zu, packte Nicole am Arm und zog sie hinter sich her in Richtung auf das offenstehende Tor.
Bill Fleming und die junge Huichol folgten ihm. Krachend fiel das Tor zu. Aber das unheimliche Knirschen und Schaben war immer noch da, der ganze Berg schien in Bewegung zu geraten – und die peitschende Angst ließ den vier Menschen gar nicht zu Bewußtsein kommen, daß es dreiunddreißig Stufen waren, die sie überwinden mußten.
Hinter ihnen stürzten Felsblöcke durcheinander.
Eine Staubwolke hüllte sie ein, wirbelte sie in die Grotte mit dem steinernen Sessel. Zu viele Gänge zweigten von hier aus ab, als daß Zamorra sie vorher alle hätte mit Bannmalen verschließen können.
Aber in dem Tunnel, durch den er die Höhle des Goldenen Pumas betreten hatte, waren alle Abzweigungen durch magische Schranken versperrt, und Zamorra verharrte jenseits des Tores und ließ die anderen an sich vorbei, bevor die beiden goldglänzenden Türflügel zuschlugen.
Das gelbe Metall trug bereits ein Bannmal.
Bill hatte es unwissentlich gebrochen, als er das Tor auf der Suche nach einem Ausweg öffnete. Zamorra erneuerte es, in dem er den magischen Linien mit dem Amulett folgte – und in der gleichen Sekunde wurde der ganze Berg von einem Erdbeben geschüttelt.
Das Höhlensystem brach zusammen.
Tukákames Reich verschwand, sank in Schutt und Asche. Die Hölle selbst schien sich aufzutun, die Schreckensgottheit, ihren pumaköpfigen Diener und das Heer der toten Azteken zu verschlingen, und nur der Tunnel, in dem die unbegreifliche Kraft des silbernen Amuletts wirkte, hielt den Naturgewalten stand und schützte die vier fliehenden Menschen.
Als Zamorra und seine Begleiter den Höhlenausgang erreichten, hatte sich die Erde wieder beruhigt.
Still lag das heilige Tal der Huichol vor ihnen, majestätisch in seiner schweigenden Größe. Über den Bergen im Osten leuchtete bereits ein heller Streifen – und mit einem Gefühl tiefster Erleichterung nahm Zamorra dieses Versprechen des Lichts in sich auf, bis ihn Nicoles leiser Ausruf erneut zusammenfahren ließ.
Er wandte sich um.
Nicoles Lippen bebten. »Da, Chef«, flüsterte sie und zeigte dabei auf den Höhleneingang.
Oder auf das, was vor Minuten noch ein Höhleneingang gewesen war!
Nichts wies mehr darauf hin.
Glatter grauer Stein verschloß die Stelle, fugenlos dicht. Nicht das geringste Zeichen sprach mehr von Tukákames untergegangenem Reich. Nichts außer vielleicht den Spuren von Wind und Wetter, die sich auf dem Felsen wie zufällig zum Abdruck eines Drudenfußes fügten – doch man mußte schon sehr genau hinsehen, um den zu erkennen…
***
Die junge Huichol führte Nicole, Zamorra und Bill ins Tal des Jaguars zurück.
Nach einem anstrengenden Tagesmarsch hatten sie es erreicht.
Eine Nacht mußten sie in der Einöde verbringen – und schon früh am nächsten Morgen hörten sie das charakteristische Mähmaschinenrattern des Hubschraubers, mit dem Joaquin Sabinas sie zurückholte.
Drei Tage verbrachten sie als Gäste in Coalcomán de Jalisco, um sich auszuruhen. In dieser Zeit erfuhren Bill Fleming und sein mexikanischer Kollege Christofero Uvalde mehr über Geschichte und Kultur der Huichol, als sie je zu träumen gewagt hätten – und trotzdem waren sie froh, als sie schließlich wieder im Jet von Guadalajara nach Mexico City saßen.
Die Huichol würden auch in Zukunft ihre Pilgerfahrten unternehmen, das wußten sie.
Fünfzehn ausgewählte Männer des Dorfes würden sich auf die Wanderschaft machen, würden endlose Tage unterwegs sein und schließlich ins heilige Tal hinabsteigen, um das Fest des lichtbringenden Peyote zu feiern und ihrem obersten Gott Tamatz Kallaumari zu begegnen.
Aber nie mehr würde der verruchte Name Tukákame über ihre Lippen kommen.
ENDE
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