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0027 - Die Grotte der Gerippe

0027 - Die Grotte der Gerippe

Titel: 0027 - Die Grotte der Gerippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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unscheinbaren, aber für die Huichol heiligen Kaktus wußte. Das Rauschgift Mescalin wurde daraus gewonnen, aber er enthielt auch noch andere Alkaloide. Den Huichol-Pilgern – offiziell Christen, wie Bill einfiel – ermöglichte er die Vereinigung mit ihren alten Göttern.
    Tamatz Kallaumari würde zu ihnen sprechen und…
    Jählings verstummte der Singsang.
    Der Indio stand immer noch mit ausgebreiteten Armen wie ein Denkmal vor dem Hintergrund des flackernden Feuers. Sekundenlang war es still, fast unheimlich still – dann erhob sich erneut die Stimme:
    »Tukákame!« rief sie. »Tukákame!«
    Und die anderen fielen ein, nahmen den Ruf auf, steigerten ihn zum hämmernden Stakkato:
    »Tukákame! Erscheine, Tukákame! Tukákame! – Tukákame…«
    Bill Fleming stutzte.
    Er hatte genug über die Kultur der Huichol gelesen, um zu wissen, daß hier etwas nicht stimmte. Tamatz Kallaumari, der Hirschgott, war es, dem die lange, beschwerliche Wanderung galt. Tukákame – das war nicht der alte Feuergott, dessen Name Huehueteotl lautete, das war nicht der Regengott Tlaloc und erst recht nicht die gefiederte Schlange. Tukákame war…
    Satan!
    Der Herr der Unterwelt, der Höllenfürst, die uralte Gottheit des Bösen!
    Wie ein Blitz durchzuckte Bill Fleming die Erinnerung, und die Erkenntnis, daß die Huichol-Pilger nicht die Vereinigung mit ihrem obersten Gott suchten, sondern den Teufel ihrer alten Religion anriefen, jagte ein kühles Prickeln über seinen Rücken.
    War er hier einem völlig unbekannten Teil der aztekischen Überlieferung auf der Spur?
    War alles falsch, was Völkerkundler und Historiker über diese seltsame Pilgerfahrt der Huichol-Indianer erforscht und geschrieben hatten?
    Oder waren die Huichol abtrünnig geworden? Hing ein Teil von ihnen einem neuen, ganz anderen Kult an? Bill biß sich auf die Lippen, und unwillkürlich flog sein Blick zu dem alten Indio hinüber, der ihn in das Dorf geführt und ihm zu der Teilnahme an der Zeremonie verholfen hatte.
    Jacahiro kauerte abseits von den anderen im Schatten eines Felsblocks, der wie ein gigantischer Altar aussah. Das Gesicht des Alten war ausdruckslos, seine Hände hatte er über den Knien gefaltet. Er hatte sich nicht an den Riten beteiligt. Er stand auch nicht unter dem Einfluß des Peyote-Rausches. Er beobachtete, wartete – und für Bill Fleming hatte die reglose, zusammengekauerte Gestalt plötzlich etwas Unheimliches.
    Die Indios waren inzwischen fast alle aufgesprungen. Die Luft zitterte unter den dumpfen Trommelwirbeln, heisere Schreie wurden laut. Die Feuer schienen plötzlich heller zu lodern, und in ihrem roten, gespenstischen Widerschein begann ein ekstatischer Tanz.
    Wahnsinn schien die Menschen in ihren federgeschmückten Gewändern zu treiben.
    Immer wilder wurden die Schreie. Zwei, drei Männer rissen lange Dolche hervor – und entsetzt beobachtete Bill Fleming, wie sie sich mit den scharfen Klingen die Haut an Brust und Armen aufrissen.
    »Tukákame!« hallte es durch das Tal. »Tukákame! – Tukákame…«
    Bill fuhr zusammen, als eine der Gestalten auf ihn zutanzte. Rot funkelte die blutige Messerklinge. Über die Lippen des in Trance zuckenden Mannes brachen unverständliche Laute. Sein Gesicht war zu einer Teufelsfratze verzerrt. Einen Moment lang befürchtete der Amerikaner, der Bursche werde sich mit dem Messer auf ihn stürzen, doch dann drehte der Indio ab, stieß noch einen gellenden Schrei aus und stürzte in der Nähe des Feuers zu Boden.
    Bill Fleming hatte die Hand in die Tasche seiner Khakijacke geschoben und umklammerte den kurzläufigen Revolver, den er für den Fall eines Falles mitgenommen hatte. Er wußte, daß die verschiedenen Alkaloide des Peyote-Kaktus ein mörderisches Gemisch waren – keine beglückende Droge, sondern ein Gift, das gefährliche Abgründe der Psyche aufriß. Er war vorbereitet gewesen auf düstere, bedrohliche Riten – aber der Ausbruch des Wahnsinns, der sich jetzt vor seinen Augen abspielte, wühlte ihn auf und erschreckte ihn bis in die Tiefen.
    Einen Moment lang zögerte er, dann stand er auf, verließ seinen Platz und ging über den steinigen Hang zu der zusammengekauerten Gestalt Jacahiros hinüber. Der Alte war zumindest noch normal, hatte nicht von diesem Teufelszeug gegessen. Er schien ins Leere zu starren, der Widerschein der Feuer spiegelte sich in seinen jettschwarzen Augen, und erst als Bill Fleming fast heran war, hob er den Kopf.
    Eine stumme Geste forderte den Amerikaner

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