0029 - Das Ungeheuer aus dem Eis
Bill Fleming.
»Ein Schatten!« sagte Carter Tamarr aufgeregt. »Ein riesiger Schatten!«
»Wo?« fragte Snorre.
»Dort.«
»Über der Schneewehe?«
»Ja.«
»Nichts zu sehen.«
»Verdammt, aber da war etwas. Es ist sofort wieder verschwunden, Steinunn! Wir sollten nachsehen, wer an uns Interesse hat.«
»Okay«, nickte Snorre.
Er griff nach seinem Gewehr. Bill Fleming bewaffnete sich ebenfalls. Zu dritt stapften sie auf die Schneewehe zu. Je näher sie ihr kamen, desto nervöser wurde Tamarr. Er zitterte, und seine Zähne klapperten aufeinander.
»Mann, reißen Sie sich doch zusammen!« sagte Snorre eindringlich.
»Was soll ich machen, ich habe Angst!« stöhnte Tamarr.
»Ein kräftiger Mann wie Sie – mit einem Gewehr! Sie brauchen doch keine Angst zu haben!«
»Sie haben nicht gesehen, was ich sah, Steinunn!« stieß Tamarr aufgewühlt hervor.
Sie erreichten die Schneewehe.
Tamarr blieb einen Schritt hinter Bill Fleming und Snorre zurück.
»Nun?« fragte er mit flatternden Augen.
»Nichts!« knurrte Snorre.
»Jetzt machen Sie aber ‘nen Punkt!« schrie Tamarr wütend.
»Hier ist nicht mal die Spur eines Polarhasen zu sehen!« erwiderte der Norweger frostig. »Sie müssen sich geirrt haben, Carter.«
Tamarrs Gesicht lief rot an.
»Mann, ich bin doch nicht verrückt. Und auf meine Augen kann ich mich verlassen. Ich habe etwas gesehen! Einen Schatten, verdammt noch mal! Ich habe einen Schatten gesehen! Warum wollen Sie mir das denn nicht glauben?«
»Was für ein Schatten war das?« fragte Bill Fleming den Wütenden.
»Ein riesenhafter Schatten. Er verschwand sofort wieder…«
»War es der Schatten eines Tieres oder der eines Menschen?«
»Weiß ich nicht! Es ging so schnell! Es sah so schauderhaft aus…«
»Überlegen Sie doch, Carter!« sagte Snorre eindringlich. »Wenn Sie tatsächlich irgend etwas gesehen hätten, müßten wir hier Spuren erkennen können. Aber es gibt keine Spuren.«
»Ich habe trotzdem einen Schatten gesehen!« beharrte der starrsinnige Ex-Boxer.
Snorre nickte seufzend.
»Okay. Dann haben Sie eben den Schatten gesehen, wenn Ihnen daran soviel liegt.«
»Verdammt, Sie dürfen mit mir nicht wie mit einem Verrückten reden, Steinunn!« brüllte Tamarr zornig. »Dazu haben Sie kein Recht!«
»Entschuldigen Sie, Carter«, erwiderte der Norweger. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
Sie kehrten zu den anderen zurück, packten alles Zeug auf die beiden Schlitten und zogen los.
Es schneite, wie es nur in Polarländern schneien konnte.
Überall sanken die Männer bis über die Knie ein. Gleichmäßig kamen dicke Flocken vom Himmel. Die Männer konnten keine hundert Meter weit sehen. Langsam und schwerfällig ruderte ein Rabe über ihren Köpfen durch den dichten Schneefall. Einige Eiderenten flogen auf und flatterten davon. Die Männer gingen im Gänsemarsch. Einer in den Fußstapfen des anderen, um dadurch Kräfte zu sparen. In Senkungen und Vertiefungen war das Gehen oft ganz unmöglich. Sie sanken bis an die Hüften ein. Eine Orientierung war so gut wie ausgeschlossen.
Mit Carter Tamarr war eine seltsame Wandlung vor sich gegangen. Zuerst fiel sie niemandem auf. Doch dann bemerkte Bill Fleming, daß mit dem Mann irgend etwas nicht stimmte.
Tamarrs Gesicht war seltsam verzerrt. Er sah grausam aus. Seine Augen hatten einen feindseligen Ausdruck angenommen. Immer wieder wandte er sich furchtsam und ruckartig um, als fürchte er, jemand stünde ganz dicht hinter ihm und wolle ihm das Leben nehmen.
Todesangst schüttelte ihn, obwohl die Landschaft friedlich und keinerlei Gefahr zu erkennen war.
»Merkt ihr nichts?« fragte Tamarr während einer kurzen Rast.
»Was sollen wir merken?« fragte Bill Fleming zurück.
»In dieser Gegend stimmt doch etwas nicht!« knurrte Carter Tamarr.
»Das bilden Sie sich doch bloß ein«, sagte Steinunn Snorre. Er holte eine flache Schnapsflasche aus seiner Jacke und reichte sie dem Ex-Boxer. »Hier. Machen Sie einen Schluck. Der Alkohol wird Sie wärmen und auf andere Gedanken bringen!«
Tamarr schlug dem Norweger die Flasche wütend aus der Hand.
Sie fiel in den Schnee, zerbrach aber nicht.
»Fangen Sie schon wieder an, mich wie einen Narren zu behandeln?« brüllte Tamarr den Expeditionsleiter an.
»Aber nein! Natürlich nicht, Carter. Warum sind Sie bloß immer gleich beleidigt? Ich mag Sie. Ich mag Sie wirklich. Warum können wir uns nicht vertragen?« fragte der Norweger. Dann bückte er sich und hob seine Flasche auf.
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