Jeanine Krock
Der Blutkristall
1. Auflage Oktober 2009
Titelbild: Agnieszka Szuba
www.the-butterfly-within.com
©opyright 2009 by Jeanine Krock
Lektorat: Franziska Köhler
Satz: nimatypografik
ISBN: 978-3-86608-599-2
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Für meinen Vater
Das Schönste, was wir entdecken können,
ist das Geheimnisvolle.
(Albert Einstein)
Kapitel 1
«Früher oder später kommt der Tag, an dem man darüber nachdenkt, neu anzufangen, alle Brücken abzubrechen, an einem anderen Ort eine andere Identität anzunehmen, noch einmal ganz von vorne zu beginnen.» Vivianne klappte das Buch zu, legte es auf den Nachttisch und ließ sich in die Kissen fallen. An der Decke über ihr bildete der weiße Stuck im Licht der Lampe einen scharfen Kontrast zu den Wänden. Leise und selbst für ihre sensiblen Ohren kaum wahrnehmbar drangen die Geräusche der Metropole herein. Jede Stadt hat einen eigenen Klang, ganz besonders Paris. Vivianne fühlte sich mit ihr verwandt, der Seele, die von allen Weltkräften nur die Schönheit sieht. Unsterblich waren beide, sie, die Frau, die niemals altern würde, und die Hauptstadt Frankreichs, die sich seit Jahrhunderten täglich neu erfand. Viviannes «Appartement» war einst die luxuriöse Suite eines Hotels gewesen. Noch heute sorgten Angestellte des benachbarten «Jardin Faubourg» im besten «Quartier» der Stadt für Sauberkeit und Bewirtung, wenn Vivianne darum bat.
«La Métropole et la petite Vampiresse», Paris und Vivianne waren seit ihrer Ankunft vor zwanzig Jahren Schwestern im Geiste. Gemeinsam erlebten sie die Liebe und den Tod, und ihre sterblichen Verehrer spürten bei jeder Begegnung den Atem der Geschichte, das Geheimnisvolle, ohne jemals zu erkennen, wer oder was sie wirklich waren. Die Stadt blieb eine hochmütige Schönheit. Vivianne versuchte das Unmögliche. Freundschaften zu pflegen mit Menschen, deren Leben dem eines Schmetterlings glich: fragil und flüchtig. Sich mit ihnen und auf sie einzulassen mochten andere als leichtsinnig, sogar als gefährlich und eine Bedrohung für ihre Art bezeichnen. Und ohne den Schutz der mächtigsten Vengadore – den allseits gefürchteten Kriegern des Magischen Rats – wäre diese freche Vampirin von manch einer der Unsterblichen gewiss zum tödlichen Duell herausgefordert worden. Viviannes Welt aber war durchzogen von weitaus tieferen Abgründen, von denen diese Gegner nichts ahnten. Dort lauerten die wahren Feinde, vor denen sie sich noch für eine lange Zeit würde verbergen müssen.
Doch gegenwärtig lief es bestens. Ihre Tarnung hielt, obwohl es zunehmend schwieriger wurde, eine Jugendlichkeit zu verschleiern, für die nicht wenige Sterbliche bereit gewesen wären, ihr Vermögen und auch ihre Gesundheit zu opfern. Die Geschäfte konnten nicht besser laufen. Vor fünf Jahren hatte sie eine Dependance ihrer Modelagentur in Moskau eröffnet. Stockholm folgte wenig später, die Szene veränderte sich. Schon standen klassische Schönheiten aus dem Norden Europas im Fokus der stets hungrigen Modewelt.
«Menschenhandel geht immer.» Ihr russischer Geschäftspartner war mit Diamanten reich geworden. Jetzt, so sagte er lachend, sähe er sich nach Juwelen ganz anderer Art um, und ihm sei es egal, ob sie aus Hamburg, Finnland oder Usbekistan stammten. Aus den einsamen Steppen tief im Inneren des riesigen russischen Reiches waren in den vergangenen Jahren die schönsten Mädchen gekommen. Langbeinig waren sie und an Entbehrungen gewöhnt, aber mit einem unstillbaren Hunger auf das Leben. So wie Vivianne selbst.
Als Model konnte man sie nicht bezeichnen, auch wenn sie häufig genug Angebote erhielt, die Haute Couture ihrer Lieblingsdesigner exklusiv zu präsentieren. Ihre Rundungen mochte manch einer an den laufenden Kleiderständern vermissen, mit denen sie ihr Geld verdiente. Sie hätte jedenfalls nicht tauschen wollen, und wer einmal Zeuge eines ihrer Auftritte in der Gesellschaft geworden war, vergaß dies nicht. Darin jedoch lag die wahre Gefahr. Was ihrem Ego grenzenlos schmeichelte, konnte sehr wohl eines Tages ihre Sicherheit gefährden.
Aber Vivianne