0036 - Wir spielten hinter den Kulissen
Revolver gepresst. Aber sie entwickelte ungeahnte Kräfte. Und meine waren 'fast zum Teufel.
Drohend kam die Mündung auf meine Brust zu. Mrs. Barris Atem keuchte mir heiß ins Gesicht. Ich hatte keinen Menschen mehr vor mir.
Ihre scharfen Zähne krallten sich in meine Hand, die die Revolvermündung von meinem Herzen wegdrücken wollte.
Ich riss die Hand hoch. Ihr Kopf schlug ins Genick. Ich holte mit der rechten Faust aus. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Frau mitten ins Gesicht schlug.
Aber was war denn hier noch Frau, was war überhaupt noch ein Mensch? Ich hatte nichts weiter als eine wilde Bestie vor mir, eine Raubkatze und hundertmal Schlimmeres als nur eine Raubkatze.
Ihr Körper wurde schlaff. Ich kam irgendwie auf die Beine. Sah mich um. Phil lag ohnmächtig neben der bewusstlosen Schauspielerin.
Das nächste Fenster. Dort.
Ich griff nach Miss Mara. Packte sie an den Armen und zerrte sie hinter mir her. Wollte sie hochheben. Schaffte es nicht. Zog. Schleppte. Keuchte. Das Fenster. Zum Fenster.
Sechzehn Schritte. Sechzehn qualvolle Anstrengungen.
Endlich stand ich vor dem geborstenen Fenster. Ich bückte mich. Stemmte die Schauspielerin zentimeterweise hoch. Endlich hatte ich sie auf der Brüstung. Rechts und links von mir schlugen die Flammen zum Fenster hinaus.
»Hallo!!!«, schrie ich gegen den Lärm an. Noch einmal: »Halloooo!«
Verging eine Ewigkeit? Oder war es nur der Bruchteil eines Atemzuges? Ich weiß es nicht.
Endlich sah ich unter mir uniformierte Polizisten auftauchen. Ich rollte Miss Mara wie ein lebloses Bündel über die Brüstung des Fensters. Die Cops unten fingen sie auf.
Ich torkelte zurück.
Noch einmal die Schlepperei. Noch einmal die Anstrengung, wo man sich schon allein kaum noch rühren konnte.
In den Lungen stach es wie von Millionen glühender Nadelspitzen. Man fühlte den Schmerz nicht mehr an einzelnen Körperteilen, er hatte sich längst zu einem großen Kollektiv ausgeweitet: Körper und Schmerz waren eine Einheit geworden.
Ich schaffte es und brachte Mrs. Barris über das Fenster.
Das Letzte. Das Schwerste. Das Notwendigste. Phil.
Ich kniete neben ihm nieder. Ich schob seinen Körper in meinen Nacken. Legte die Arme rechts und links darum.
Tief Luft geholt.
Zitternd hob sich das linke Knie. Hatte ich tausend Zentner im Rücken? Wie viel wog Phil eigentlich? Millionen Kilogramm?
Das rechte Knie hochgezogen. Mir drehte sich alles vor den Augen, als ich hochkam. Wo war das Fenster?
Wohin man sah, Qualm, Feuer, Flammen. Ich schwankte mit zitternden Knien, Phil auf dem Rücken, kaum länger imstande, in dieser Hölle zu atmen, sinn- und planlos durch diesen riesigen, brennenden Salon.
Plötzlich schoss mir aus dem Feuermeer etwas Kaltes, Zischendes, Weißes mit ungeheurer Macht entgegen. Wie einen Spielball wirbelte der erste Stahl aus einer Motorspritze mich wieder zurück. Ich stürzte, wurde von etwas Eiskaltem übersprüht, versuchte hochzukommen, stürzte wieder und verlor das Bewusstsein.
***
Irgendetwas kitzelte mich an der Nase. Was war denn das nur? Ich runzelte die Stirn. Das Kitzeln in der Nase stieg. Ich musste niesen.
»Prost!«, riefen ein paar Leute.
Ich dachte einen Augenblick lang nach. Was war eigentlich los? Was sollte dieses alberne Kitzeln?
Ganz langsam und misstrauisch machte ich meine Augen auf. Ich schloss sie sofort wieder. Ich hatte direkt auf das Etikett einer Whiskyflasche geschaut.
»Machen Sie ruhig die Augen wieder auf, Jerry!«, hörte ich die sanfte Stimme von Mr. High. »Der Whisky steht wirklich auf Ihrem Nachttisch!«
Tatsächlich.
Mr. High hatte ihn mitgebracht. Phil und ich lagen in zwei bildschönen weißen Krankenhausbetten.
Ich erkundigte mich natürlich nach Miss Mara und nach Mrs. Barris, als ich wieder alles im Kopf beisammenhatte.
Sie lebten beide und würden die Brandwunden überstehen, eine von ihnen freilich nur, um auf den elektrischen Stuhl zu steigen.
ENDE
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