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0041 - Die Treppe ins Nichts

0041 - Die Treppe ins Nichts

Titel: 0041 - Die Treppe ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franc Helgath
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grellrotes Gleisen. Einen Atemzug lang konnte Zamorra einen Blick durch das Tor werfen, das die Welt der Lebenden von jenen der Toten trennt, durch das Tor, durch das der Dämon des Henkers von Saratoga für immer verschwand.
    Zamorra ließ die Hand sinken. Es gab keinen Henker von Saratoga mehr. Es würde nie mehr einen geben.
    Er wandte sich um.
    Die Fesseln waren von den Gliedmaßen der Gepeinigten gefallen.
    Sie alle starrten sich ungläubig an. Alle schienen sie in diesem Augenblick aus einem bösen Traum zu erwachen. Doch Zamorras Blicke suchten die Katze. Dann sah er sie.
    Sie lag unter der Treppe, die nach oben auf die Plattform führte.
    Doch der Körper wurde immer größer, immer länger, lang wie ein Sarg.
    Das Fell sprang in kleinen Stücken ab, wie eine Backform aus Lehm, wenn sie abkühlt. Eine Frau lag da. Sie war jung und schwarzhaarig. Anmutig war ihr Gesicht und weiß und fein wie kostbares chinesisches Porzellan ihre Glieder. Sie waren in ruppiges Hanf gehüllt. In das Gewand der Büßerinnen, in dem sie auf das Schafott oder auch auf den Scheiterhaufen geführt wurden. Aus großen, dunklen Kinderaugen schaute die Frau Zamorra an. Die kirschroten Lippen lächelten leicht in diesem makellosen Gesicht, einem Spiegel der Unschuld ihrer Seele.
    Die kindliche Isabell Conchita di Minestrale… Das letzte Opfer des Henkers von Saratoga …
    Und diese Lippen formten lautlos ein Wort. Zamorra konnte es ablesen. »Gracias…«
    Dann wurde die Gestalt von einem milden Schein umflossen, ein sphärisches Leuchten wie von einem Nordlicht strahlte kurz auf.
    Einen Herzschlag später war es weg. Genau wie das Mädchen.
    Nicole Duval war neben Professor Zamorra getreten. Sie fand sich noch nicht ganz in der Wirklichkeit zurecht. »Was war das eben?«, fragte sie.
    »Ein Mädchen, das uns allen das Leben gerettet hat. Schade, dass es schon über fünfhundert Jahre tot ist.«
    ***
    Zamorra hatte dafür gesorgt, dass Ordnung in das maßlose Durcheinander kam. Er hatte auch dafür gesorgt, dass sofort höchste Regierungsstellen eingeschaltet wurden und das Wissen um die Phänomene nicht auch den ganzen Instanzenweg durchlaufen musste.
    Die Gefangenen waren nicht gealtert. Unter der fachkundigen Leitung von Professor Gerard wurden sie wieder in den Alltag eingegliedert. Gerard war eine Kapazität auf dem Gebiet der Psychiatrie.
    Mit neuen Namen und neuen Pässen wurden die meisten dann schon nach einem halben Jahr in ein neues Leben entlassen, mit der Auflage, stets Stillschweigen über das alles zu bewahren, was sie erlebt und gesehen hatten. Teilweise konnten ihnen die schlimmsten Erinnerungen mit hypnotischen Blocks genommen werden.
    So jenen, die sich noch nicht so lange in diesem grässlichen Gewölbe aufgehalten hatten, wie Piere Laguère und seine beiden hübschen Töchter. Bei ihnen hatte man das Trauma noch tilgen können. Es war ihnen erzählt worden, sie hätten bei einem Bergsturz einen Unfall erlitten und dabei kurzfristig ihr Gedächtnis verloren. Nichts Schlimmes.
    Auch Velasques flirtete schon nach drei Tagen wieder mit Nicole, die die Klinik als Erste verließ. Sie brauchte man von keinem Trauma zu heilen.
    Nur Vincente war nicht mehr zu helfen gewesen. Er wurde in eine geschlossene Anstalt überwiesen, wo er noch einige Zeit dahindämmerte und bald verstarb.
    Zwei Wochen nach der Befreiung warf dann ein Pilot der Luftwaffe des Caudillo während eines Übungsfluges über den Pyrenäen eine Bombe ab. Seine Aufgabe war fest umrissen, und präzise erfüllte er sie auch. Er wusste zwar nicht, warum er ausgerechnet diese kahle Hügelkuppe sprengen sollte, aber er fragte auch nicht danach.
    Die Explosion war bis nach Ainsa zu hören gewesen.
    Der Eseltreiber und Kleinhändler Juan schaute missmutig auf die Rauchwolke, die sich über der an diesem Tag gesperrten Straße nach Benasque ausdehnte, und schob sich seinen zerfledderten Strohhut ins Genick. »Verrückte Welt«, brummte er in seinen Bart und sah dem Düsenjäger nach, der sich als silbern glänzender Pfeil rasch in den Wolken verlor. Dann griff er sich ans Knie, wo ihn seit einigen Jahren schon die Gicht plagte.
    »Es wird bald Regen geben«, murmelte er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
    ENDE

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