0043 - Die Geister-Lady
obwohl er schreckliche Angst vor dem Fürsten hatte.
Micha Plotkin nickte zufrieden. Er scharrte mit seinen schweren Stiefeln auf dem Boden.
»Das trifft sich gut, Andrej Igorow! Ich hatte ohnedies vor, dich zu töten!«
»Nein, Micha! Nein!«, schrie Anja entsetzt. Tränen quollen aus ihren himmelblauen Augen. »Das darfst du nicht tun!«
»Ich tu’, was mir gefällt!«, brüllte Plotkin.
»Du darfst ihn nicht ermorden!«
»Er hat meine Frau verführt, dieser verfluchte Hund!«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch!«
»Nein, Micha! Es stimmt nicht, was du sagst. Nicht er hat mich verführt, sondern ich ihn. Du darfst ihm deshalb nichts antun. Ich bin an allem Schuld. Wenn du unbedingt deine Rache haben musst, dann töte mich, und lasse Andrej sein Leben. Ich habe ihn dazu überredet. Ich! Ich! Ich! Richte deinen Zorn nicht gegen ihn, Micha. Er ist unschuldig.«
»Sehen so Unschuldige aus!«, schrie der Fürst mit wutverzerrter Miene. »Ich habe ihn ertappt! Im Bett! Mit meiner Frau!«
»Ich bin schon lange nicht mehr deine Frau, Micha Plotkin!«
»Du bist mein Eigentum, verflucht noch mal! Du bist eine Perle, die mir gehört, und an die dieser Hund mit seinen dreckigen Händen Flecken gemacht hat.«
»Seine Hände sind rein! Reiner als die deinen!«, schrie Anja ihrem Mann ins Gesicht. Da riss der Fürst einen krummen Dolch aus seinem Gürtel. Wutschnaubend stürmte er auf das nackte Paar los. Sie wussten beide nicht, wen der Dolch zuerst treffen sollte, und sie versuchten sich gegenseitig zu schützen. Micha Plotkins Dolchhand sauste hoch. Gleichzeitig flog seine linke Hand auf Anjas Kopf zu.
Seine Finger gruben sich in die Fülle ihres schwarzen Haares. Er riss sie roh zur Seite. Sie schlug um sich und kreischte grell auf. Der Schmerz grub tiefe Falten in ihr hübsches Gesicht. Schon fegte der blitzende Dolch herab, genau auf Andrej Igorows Herz zu. Der junge Mann riss verstört die Augen auf. Er wollte sich zur Seite werfen, aber der Dolch war schneller als er. Anja wollte ihrem Mann in den Arm fallen, doch seine sehnigen Finger waren immer noch in ihrem langen Haar verkrallt. Sie zappelte und zuckte, aber sie war nicht in der Lage, die furchtbare Katastrophe zu verhindern.
Andrej Igorow starb mit einem tiefen Seufzer neben ihr, als der Dolch sein Herz durchbohrte.
***
Ungläubig starrte Anja auf ihren toten Geliebten. Er lag auf dem Rücken. Der Fürst hatte den Dolch wieder an sich gerissen. Mit schockgeweiteten Augen blickte die verstörte Frau auf die schreckliche Wunde. Zuvor hatte sie sich heulend auf Andrej geworfen. Sein Blut klebte auf ihrer Haut, doch sie ekelte sich nicht davor. Es erfüllte sie lediglich mit einer unendlich tiefen, erschütternden Trauer.
Ohne ihren Mann anzusehen, presste sie heiser hervor: »Was hast du nur getan, Micha? Warum hast du diesem armen, unschuldigen Menschen das Leben genommen?«
»Er war nicht unschuldig!«, knirschte Plotkin ohne Reue. »Er hat etwas getan, wofür er den Tod verdient hat.«
»Er hat eine Frau glücklich gemacht, Micha!«
»Dazu hatte er kein Recht!«
»Er hat mich glücklich gemacht! Das ist kein Verbrechen! Du hast es ja nicht getan!«
»Ich bin Fürst Micha Plotkin. Er war ein dreckiger kleiner Gärtner! Es war ihm nicht erlaubt, seine Hand an meine Frau zu legen!«
»Danach fragt die Liebe nicht, Micha! Sie kommt und bringt Glück! Sie mildert Qualen und lässt uns, die wir gedemütigt und gepeinigt wurden, nach ihrem Belieben aufatmen… O ja. Du bist Fürst Micha Plotkin. Ein Fels in Sibirien. Der hartherzigste Mann von Russland. Und niemand darf es wagen, sich an deinem Eigentum zu vergreifen, sonst stößt du ihm deinen verfluchten Dolch ins Herz. O heilige Mutter von Kasan! Wie hasse ich dich, Micha Plotkin. Ich hasse dich so sehr, wie ich noch nie im Leben einen Menschen gehasst habe!«
Den Fürsten ließ das völlig kalt. Mit dem blutbesudelten Messer wies er auf seine Frau.
»Zieh dein Kleid an, Anja.«
»Warum tötest du nicht auch mich?«
»Wer sagt, dass ich es nicht tun werde?«, grinste Plotkin.
»Dann tue es gleich.« Anja Plotkinowa breitete furchtlos ihre Arme aus. Mit offenen Augen erwartete sie den Todesstoß. Doch der Fürst lachte nur und schüttelte den Kopf.
»Du möchtest an seiner Seite sterben. Das wäre eine Freude für dich. Ich aber sehe nicht ein, weshalb ich meiner untreuen Gemahlin eine Freude bereiten soll. Deshalb verlange ich, dass du dein weißes Kleid anziehst und mit mir kommst.«
Anja
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