0043 - Die Geister-Lady
Zähne zusammen, als seine Stirn ein heftiger Schmerz durchraste. Er tastete nach seinem Kopf. Etwas benetzte warm und klebrig seine Finger… Blut.
Wütend drehte er sich im Kreis. »Wo bist du?«, fragte er mehrmals. »Zeige dich! Ich will dein mieses Gesicht sehen, Anja! Beginnst du nun wieder mit deinen verrückten Spielchen? Werden wir dich Nacht für Nacht in unserem Haus haben? Was hast du mit uns vor? Willst du uns umbringen? Oder willst du meiner zweiten Frau bloß so viel Angst einjagen, dass sie ihren Sohn nimmt und fluchtartig das Haus verlässt? Damit du mich wieder für dich allein hast?«
Er hörte ein Seufzen, und dann ein Kichern, ganz knapp hinter sich. Und dann strich ihm eine eiskalte Hand über den schweißnassen Nacken. Er zuckte erschrocken zusammen. Anja lachte ihn aus.
»Du hast Angst, nicht wahr?«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Angst? Wovor?«
»Vor mir!«
»Dich gibt es nicht.«
»Du hast heute Blut gespuckt. Weil ich es so wollte. Du blutest am Kopf. Weil ich dir ein Glas an die Stirn geworfen habe. Bist du wirklich sicher, dass es mich nicht gibt?«
»Du steckst im Torpfeiler!«
»Ja, Micha. Ja, das tu’ ich. Aber nachts komme ich heraus.«
»Warum hast du uns so lange in Ruhe gelassen?«
»Ich wollte, dass du dich wieder erholst, hast damals ja schrecklich ausgesehen. Es hätte mir keinen Spaß gemacht, dich noch weiter zu quälen. Es war ja fast nichts mehr vorhanden vom alten Micha Plotkin. Doch nun, wo du wieder bei besten Kräften bist, wo du sogar den Mut hattest, vor mich hinzutreten und mich zu verspotten, kann ich mein altes Spielchen wieder aufnehmen. Und deine hübsche kleine Frau und deinen winzigen Sohn werde ich in dieses Spiel mit einbeziehen…«
Plotkin presste die Kiefer hart zusammen. Seine Backenmuskeln zuckten und traten wie Stahlseile hervor.
»Du rührst die beiden nicht an, du Hexe!«
Anja Plotkinowa kicherte amüsiert. »Willst du mich etwa daran hindern?«
»Lass sie in Ruhe, Anja. Wenn du unbedingt Rache nehmen willst, dann nimm Rache an mir. Meine Frau und mein Sohn haben dir nichts getan!«
»Sie sind Plotkins!«, sagte Anja scharf. »Erinnere dich an das, was ich dir in jener Nacht geschworen habe, Micha. Ich werde dich und alle deine männlichen Nachkommen töten. Es darf keinen Plotkin mehr geben. Aber es wäre zu einfach, deinen Sohn jetzt schon umzubringen. Erst werde ich mit ihm spielen, wie ich es mit dir bereits mehrfach getan habe. Wer weiß, vielleicht werde ich ihn erst in zwanzig Jahren töten. Das kommt ganz auf meine Laune an. Du aber, Fürst Micha Plotkin, du bist heute Nacht dran!«
***
Plötzlich war sie da. Wie wenn man Licht einschaltet, leuchtete sie mit einemmal grell auf. Plotkin prallte zurück. Er kreiselte herum. In größter Panik rannte er auf die Tür zu.
Anja stellte ihm ein Bein. Er knallte auf den Boden, kämpfte sich wieder hoch, erreichte die Tür, riss sie auf und stürmte nach draußen. Es fiel Anja nicht schwer, seinen Geist zu verwirren. Er wusste mit einemmal nicht mehr, in welche Richtung er rennen sollte. Sie warf sich auf ihn und schlug ihm ihre klauenartigen Finger in den Rücken. Er spannte mit schmerzverzerrtem Gesicht das Kreuz, stellte sich mit geballten Fäusten zum Kampf, doch alle seine Boxhiebe pufften durch den weißen Spuk hindurch.
Anja lachte schrill. Sie trat ihn mit Füßen und ohrfeigte ihn. Sie zerfetzte seinen Schlafrock und trieb ihn mit derben Schlägen den Korridor entlang.
Und auf einmal war sie nicht mehr vorhanden. Plotkin fuhr sich benommen über die Augen. War das nun Wirklichkeit gewesen? Ein Traum? Realität? Er blickte verwirrt an sich hinab. Der zerfetzte Schlafrock ließ keinen Zweifel aufkommen. Anja war da gewesen.
Nervös schaute er sich um. In seinem Inneren war etwas, das ihm sagte, dass sie immer noch ganz in der Nähe war. Mit schweißnassem Gesicht wankte er auf die Treppe zu. Sie führte in eine riesige Halle, an deren Wänden die Ahnengalerie hing. Fürst Plotkin wollte sich in den Salon begeben, um sich dort auf das Sofa zu setzen, Wodka zu trinken und den Schock zu verdauen.
Als er seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, vernahm er Anjas Atmen. Hautnah musste sie ihm sein. Und sie begann mit Worten, die er nicht hören, aber trotzdem verstehen konnte, weil sie in seinem Gehirn entstanden, auf ihn einzureden.
Sie zwang ihn, an jene Nacht zu denken, in der er den Gärtner Andrej Igorow erstochen und Anja eingemauert hatte. Er hörte ihre Schreie. Und
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