0051 - Das Schiff der toten Seelen
hatte ihnen nicht beistehen können gegen die Macht des Amuletts in der Hand eines Mannes, der entschlossen war, alles zu wagen – und Zamorra spürte mit jeder Faser, daß der Weg nun frei war.
Er griff nach dem Schwert, trat langsam einen Schritt zurück.
»Alban de Bayard!« rief er. »Alban de Bayard – kehre zurück auf die Burg der Adler, die dein Reich ist! Nichts und niemand wird dir den Eintritt wehren…«
Dumpf klang das Echo.
Ein singender Ton zitterte durch die Luft – ewiges Klingen, das aus einer anderen Dimension herüberwehte. Silberne Funken tanzten in der Luft, verdichteten sich zum Schleier – und vor Zamorras Augen materialisierte sich die Gestalt, die ihm bereits vertraut wie die eines guten Freundes war.
Alban lächelte.
Jenes ernste Lächeln, dem uraltes Wissen um die tiefsten Geheimnisse den Ausdruck von Schmerz und Klarheit gaben.
»Du hast gesiegt«, sagte er leise.
»Ich habe gesiegt kraft des silbernen Amuletts. Und kraft des Amuletts gebe ich dir das Schwert zurück, das dir gehört. Du hast es verloren, weil du es aus der Hand gabst, aber du verlorest nicht das Anrecht darauf, da du nie seine Bestimmung verrietest. In meine Hand legtest du es, aus meiner Hand nimm es zurück! Dein ist es, und dein wird es bleiben…«
Ruhig faßte er die Waffe an der Klinge. Albans Rechte schloß sich um den Griff. Lautlos glitt es in die Scheide, und der Geist des toten Kreuzfahrers hob grüßend die Hand.
»Ich danke dir, Meister des Übersinnlichen«, sagte er. »Wenn du je wieder meine Hilfe brauchen solltest, wirst du nicht vergeblich kommen. Nimm meine guten Wünsche mit zurück in deine Welt! Vielleicht sehen wir uns wieder.«
Seine Gestalt verblaßte.
Nur noch ein durchscheinendes Bild hing über dem steinernen Sarg, und bleich und unheimlich erschienen hinter dem leuchtenden Schleier die Knochen des uralten Gerippes. Sekundenlang schien geheimnisvoller Lichtschein die Gebeine zu umschweben, dann erlosch auch der letzte Schimmer. Lautlos sank das Skelett zurück in seinen Sarg, wie von Geisterhand bewegt, schwebte der Sargdeckel durch die Luft – und mit einem dumpfen, endgültigen Laut schloß er sich über dem Toten.
Ein paar Minuten später hatte Zamorra die Gruft verlassen und suchte sich seinen Weg durch die Ruinen.
Das Amulett hing wieder um seinen Hals.
Geweihtes Silber…
Er spürte die Wärme. Über einen Abgrund von Zeit und Raum hinweg glaubte er den Blick von zwei meergrauen Augen zu sehen, das flatternde Haar des alten Zauberers. Und während er langsam über den bewaldeten Hang zurück zu seinem Wagen ging, schienen die Ereignisse der letzten Tage in ihm nachzuklingen wie die Erinnerung an einen halb versunkenen Traum, in dem sich Schönheit und Schrecken, Gut und Böse, Licht und Finsternis zu einem unentwirrbaren, geheimnisvollen Gespinst verwoben…
ENDE
[1] Siehe Professor Zamorra Nr. 50 »Der Stein des Satans«
[2] Siehe Professor Zamorra Nr. 50 »Der Stein des Satans«
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