Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Prolog
Rom, der Abend des 10. April 1552
Vater, vergib mir, ich habe gesündigt.«
PapstJulius III. fiel vor dem Altar auf die Knie. Sein Körper wankte. Links und rechts von ihm warfen zwei Kerzen ihr zuckendes Licht an die bemalte Wand hinter dem Altar der Sixtinischen Kapelle, dorthin, wo Tote den Gräbern entstiegen und die Verdammten von den Engeln in die Tiefe gestoßen wurden. Höllenqualen leuchteten auf.
»Vater, vergib mir, ich habe gesündigt.«
Er war allein in der Dunkelheit. Nicht nur, dass niemand bei ihm war, er spürte auch keinen Gott. Er hatte ihn im Laufe der Jahre weggefeiert und fortgesündigt, denn kaum eine Woche verging ohne ein Fest, kaum ein Tag verging ohne eine Lustbarkeit. Die Römer nannten ihn heimlich Papst Karneval. Jeder sah in ihm einen Vergnügungskönig, aber keiner merkte, dass all dieser alberne Zeitvertreib nur dazu diente, die Dämonen zu vergessen, die ihn umgaben. Papst zu sein, das bedeutete, die Kunst der Manipulation und des Scheins zu beherrschen – also die Kunst der Politik, deren Gerüst die Sünde war. Für jede Sünde quälte ihn ein Dämon. Mittlerweile waren es Hunderte, Tausende, die ihn fast jede Nacht jagten: ungebeichtete Papstsünden, mit denen er versuchte zu leben.
Mönche konnten sich ihren Äbten anvertrauen, Äbte ihren Bischöfen, diese ihren Kollegen. Aber wem beichtete ein Papst? Wem durfte er vertrauen?
Julius traute niemandem, schon gar nicht einem aus dem Vatikan. Päpste, die voller Vertrauen waren, büßten das fast immer. Seit zwei Jahren, seit er gewählt worden war und sein Pontifikat angetreten hatte, hatte Julius nicht mehr gebeichtet, jedenfalls nicht aufrichtig, sondern sich nur noch dem Wesen anvertraut, das er auf Erden vertrat. Doch dieses Wesen sprach schon lange nicht mehr mit ihm, es hatte ihm nichts mehr zu sagen. Julius’ Beichte blieb stets unerwidert, verhallte im Nichts, und er blieb allein mit seinen Dämonen und nahm sie auf sich wie ein Kreuz.
Diese eine Sünde jedoch, die letzte, konnte er nicht ertragen. Sie legte sich um ihn, schnürte ihm die Luft ab, ein Ungeheuer, geboren und entstanden aus einer ungeheuerlichen Tat. Er brauchte die Vergebung Gottes, nur dieses eine Mal.
Tränen rannen über sein Gesicht, seine Knie taten weh, sein Rücken schmerzte so sehr, dass er glaubte, er breche gleich entzwei, und seine Hände erstarrten in Kälte. Immer wieder flüsterte er seinen Satz, immer wieder schöpfte er Hoffnung, dass Gott ihm vergeben würde.
Gott jedoch änderte seine Meinung nicht.
Gott schwieg.
Erster Tag
1
Rom, einen Abend früher, 9. April 1552
Sie war die Hure von Rom. Sie war die Königin von Rom. Maddalena Nera war seit vierzehn Monaten die Geliebte des Papstes Julius III., eine lebende Legende, berühmt wie eine Heilige oder eine große Sünderin. Ihr Kleiderschrank hätte die Königin eines Kleinstaates erblassen lassen. Die Stadt, in der sie großgeworden und herumgestoßen worden war, in der sie gedarbt und gelitten hatte, lag ihr buchstäblich zu Füßen.
Sie stand auf der Terrasse ihrer Villa auf dem Gianicolo, dem westlichen Hügel Roms, verschränkte die hellen, schlanken Arme im Nacken und blickte schweigend auf die Welt unter ihr, so als würde sie ihr gehören. Der Abend überzog die römischen Mauern und den Tiber mit dem Licht des Untergangs. Es waren kupferfarbene Augenblicke der Ewigen Stadt. Zur Linken leuchtete der Vatikan, die halbfertige Kuppel des Petersdoms fast zum Greifen nahe wie eine riesige, angebissene Feige, zur Rechten lagen die übrigen Villen des Gianicolo und die urwüchsigen Pinien. Von Maddalenas Terrasse aus konnte man ganz Rom überblicken, ein glühendes Meer von Dächern, in dem unter der Oberfläche das Leben und der Kampf tobten. Davon bekam man hier oben nichts mit. Maddalena jedoch kannte dieses Leben, diesen Kampf, und deswegen war es immer gegenwärtig für sie. Zu dieser Stunde schlurften Greisinnen mit ihren Einkäufen vom Markt nach Hause, junge
Ragazzi sammelten sich wie Vogelschwärme auf Plätzen, um später von dort ins Dunkel zu ziehen, Wucherer schlossen ihre Geschäfte ab, reife Männer mit schmalen Gesichtern stellten sich an Straßenecken und kraulten sich im Schritt, Frauen holten die Wäsche von den Leinen, die über die Gassen gespannt waren, Mütter scheuchten schimpfend ihre Jungen und Mädchen von der Straße. Bettelndes Volk verschwand, Verbrecher trauten sich hervor.
Es war die Stunde, in der sich das Licht des Tages mit der
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