0053 - Die Geisterhand
im Befehlston. »Ich möchte nur meine Handschuhe ausziehen.«
»Wenn’s dir Spaß macht…«
»Danke.«
Kronos lächelte überheblich. Er war jetzt sicher, daß er den Kerl geschafft hatte. Die Mündung des schweren Colt-Revolvers wich um keinen Zoll ab.
Scaramanga sollte Angst haben.
Und von seinem türkischen Diener und Leibwächter war auch nichts zu sehen. Vielleicht hockte der sogar vor dem Flügel und klimperte auf der Klaviatur herum.
Antonio Scaramanga nahm erst den linken Handschuh. Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand faßte er zu und lupfte den Handschuh ab.
Warum machte er davon soviel Wirbel? Kronos wunderte sich. Wenn jemand seine Handschuhe auszog, dann war das ein ganz normaler Vorgang, aber der Kerl hier tat, als wäre er ein Zauberer.
Oder hatte er einen schmutzigen Trick in der Hinterhand? Wenn ja, würde ihm Kronos den austreiben.
Der erste Handschuh fiel zu Boden. Deutlich hob sich der weiße Stoff vor dem Dunkelrot der Dielen ab.
Der nächste Handschuh.
»Leg’ mal einen Zahn zu, Freund«, sagte Kronos. »Ich will hier keine Wurzeln schlagen.«
»Gemach, mein Lieber.« Scaramanga lächelte. »Du wirst noch früh genug sterben.«
»Was war das?« Kronos’ Stimme klang drohend und lauernd zugleich.
»Augenblick.« Der Künstler gab sich sehr souverän, als er den zweiten Handschuh zu Boden fallen ließ.
»Okay, Freund«, sagte Scaramanga. »Bis hierher habe ich das Spiel mitgemacht. Doch jetzt läuft es nach meinen Regeln weiter. Sieh her!«
Im gleichen Augenblick streckte Scaramanga seinen rechten Arm aus und drehte die Hand so, daß Kronos dabei auf die Fingernägel schauen konnte.
Vier sahen normal aus.
Doch der fünfte…?
Ted Kronos hatte plötzlich das Gefühl, verrückt zu werden. Der Daumen zeigte keinen normalen Nagel mehr, sondern ein Bild.
Einen Mann.
Ted Kronos.
Wie auf einer Leinwand waren Kronos und Scaramanga auf dem Daumennagel zu sehen. Und er zeigte noch mehr. In seinem Rücken tauchte plötzlich eine Gestalt auf. Diese Gestalt hielt ein Messer in der Hand. Ein Messer mit langer, leicht gekrümmter Klinge, deren Spitze auf Kronos’ Rücken zeigte.
Ted Kronos drehte durch. Das war reinstes Zauberwerk. Blendwerk des Teufels.
»Nein!« brüllte er. »Mit mir nicht!«
Ted Kronos schoß. Er jagte die Kugeln in den Körper des Klaviervirtuosen. Doch die Geschosse fegten einfach hindurch, klatschten in die Wand und blieben dort stecken.
Während sich Scaramangas Gesicht zu einem höhnischen Lachen verzerrte, spürte Ted Kronos plötzlich einen beißenden Schmerz im Rücken.
Das Messer! dachte er noch…
Dann rutschte ihm die Waffe aus den Fingern, und er fiel schwer zu Boden.
Über die Leiche hinweg schauten sich Scaramanga und der Türke an. Sie lächelten. Scaramanga aber hob seine Handschuhe auf, streifte sie über, winkte seinem Leibwächter noch einmal zu und verschwand.
Er löste sich auf. Wie ein Nebelstreifen unter der Sonne.
Und im Zuschauerraum hallte der tosende Beifall von den Wänden wider.
Antonio Scaramanga feierte wieder einen Triumpf als Pianist.
***
Der Beifall rauschte durch den kleinen Zuschauerraum. Die Menschen waren aufgesprungen und huldigten dem Meister. Blumensträuße, Pralinenschachteln, Seidentaschentücher, Zettel mit Adressen und Pfundnoten wirbelten auf die Bühne und übergossen Antonio Scaramanga wie ein Regen.
Der Meister nahm dies lächelnd hin.
Er war so etwas gewohnt. Nicht zum erstenmal gerieten die Zuhörer außer Kontrolle, und genau das wollte er. Niemand stieg zu ihm auf die Bühne, aber gestandene Männer und Frauen sprangen am Rand des Orchestergrabens wie Kinder hoch. Ihre Gesichter strahlten, in den Augen lag ein Leuchten, das nicht mehr weit vom Fanatismus entfernt war.
Es fiel auf, daß mehr Frauen als Männer die Vorstellung besuchten. Und das hatte seinen Grund. Frauen waren leichter zu beeinflussen. Wenigstens für Antonio Scaramanga.
Er hatte die Situation und die Frauen voll im Griff.
Beide Arme streckte er aus und bewegte die Finger in einem bestimmten Rhythmus vor und zurück, so als wollte er sagen, kommt zu mir. Ich gebe euch alles.
Weiter brauste der Beifall.
Antonio Scaramanga trat zurück, legte die linke Hand auf den Flügel und verbeugte sich.
Immer wieder…
»Einen Augenblick bitte!« Er rief gegen den Beifall und den Jubelsturm an, und es dauerte, bis er sich Gehör verschafft hatte. Das Klatschen hörte völlig auf, die Stimmen wurden leiser – Ruhe…
»Liebe
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