0055 - Todeszone London
hinauf. Das Metall war aufgerauht, so daß das Tier mit den Pfoten den nötigen Halt fand. Der Nachtwächter vernahm noch eine Weile das Hecheln und Knurren, dann war der Hund verschwunden.
Webster stieg langsam nach. Die Taschenlampe hatte er an seinen Gürtel gehakt. Bei jedem Schritt schwankte sie hin und her und prallte manchmal mit dem Gummirand der Glaseinfassung gegen die eisernen Streben.
Der Hund mußte längst oben sein, und Webster wunderte sich, daß er nichts hörte.
Kein Hecheln, kein Knurren, kein Bellen…
Es war ruhig.
Zu ruhig, fand er…
Wieder kroch eine Gänsehaut seinen Rücken hinunter. Webster spürte, daß etwas nicht stimmte. Der Hund hätte sich auf jeden Fall gemeldet – aber jetzt…
Ronald Webster klammerte sich rechts und links an den eisernen Haltegriffen fest, während er höher stieg. Trotz aller Ungewißheit und auch auf die Gefahr hin, sich zu verraten, stieß er einen Pfiff aus. Leise zwar, doch der Hund mußte ihn hören.
Er kannte das Zeichen.
Doch die Dogge rührte sich nicht. Es kam keine Antwort. Das schlimme Gefühl des Nachtwächters steigerte sich. Dort oben mußte etwas geschehen sein, was seiner Kontrolle völlig entglitten war.
Aber was?
Normalerweise wurde Caesar mit jedem Einbrecher fertig. Und einen Schuß, der den Hund hätte stoppen können, den hatte Webster nicht gehört.
Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, umzukehren und alles beim alten zu belassen, doch dann verwarf er diese Idee wieder, und es siegte sein Pflichtbewußtsein. Nein, er wollte der Sache auf den Grund gehen!
Und dann vernahm er über sich ein schleifendes Geräusch. Es klang dort auf, wo die Leiter zu Ende war.
Der Nachtwächter blieb stehen.
Er legte seinen Kopf in den Nacken und schaute nach oben. Das Geräusch wiederholte sich. Im nächsten Augenblick sauste ein dunkles Etwas auf ihn zu.
Ein Körper!
Die tote Dogge…
Bevor das Tier ihn treffen und vielleicht noch von der Leiter reißen konnte, preßte sich Webster eng gegen die Stufen. Hautnah wischte der Kadaver an ihm vorbei.
Webster hörte noch das Klatschen, als der Körper unten auf die Fliesen schlug.
In Ronald Webster wallte ein ungeheurer Zorn auf. Er bekam einen hochroten Kopf. Er hatte das Tier geliebt, die Dogge war wie ein Stück von ihm selbst gewesen. »Schwein!« flüsterte der Nachtwächter. »Verdammtes Schwein. Das sollst du mir büßen.«
Tränen erstickten seine Stimme.
Er kletterte weiter, dachte dabei immer wieder an die Dogge, an den einzigen Freund, den er je gehabt hatte, und die Wut überschwemmte sein nüchternes Denken.
Er sah rot!
Hastig kletterte er weiter, schaffte die letzten sechs, sieben Stufen und erreichte den Rand der Plattform.
Sie lief um das riesige Becken herum, war aus Metall, auf dem blanke Niethammerköpfe glänzten.
Es war nicht völlig dunkel hier oben, denn die Notbeleuchtung brannte.
Webster schwang sich auf die Plattform.
Schwer ging sein Atem. Jetzt merkte er, daß er nicht mehr zu den Jüngsten zählte.
Wo steckte der Einbrecher?
Geduckt blieb Webster stehen. Er löste die Lampe von seinem Gürtel, streckte den Arm aus und stach den Strahl in das Dämmerlicht hinein.
Da sah er den Einbrecher!
Fünf Yards entfernt stand er vor ihm.
Es war ein Mann – oder?
Nein, ein Monster!
Ronald Webster hatte plötzlich das Gefühl, sein Verstand müßte aussetzen. Die Gestalt, die vor ihm stand, hatte zwar Menschengröße, aber Gesicht und Arme waren…
»Nein«, gurgelte der Nachtwächter, »das ist…«
Die Gestalt kam näher.
Lautlos, unheimlich.
Armähnliche Gegenstände wurden bewegt, glitten nach vorn, und ehe Ronald Webster etwas unternehmen konnte, fühlte er sich gepackt und hochgehoben.
Auf einmal schwebte er über der Plattform. Die Gestalt trat einen Schritt zur Seite und hielt den Nachtwächter jetzt so, daß er sich hoch über dem Grund der Halle befand.
Der Griff löste sich.
Ronald Webster fiel in die Tiefe.
»Aaahhhh…« Sein langgezogener Schrei hallte als schauriges Echo von den Wänden wider und verstummte, als der Nachtwächter auf den Boden schlug.
Stille…
Die Gestalt aber lachte kichernd. Sie ging ein paar Schritte nach links und griff in einen Beutel, aus dem sie ein Pulver hervorholte, das sie genüßlich in das Trinkwasserbecken streute.
Die Saat war gelegt, und das Unheil nahm seinen Lauf. London war dem Tod geweiht…
***
Goldbraune Tupfer leuchteten in den Pupillen der jungen Frau. Das rote Haar fiel als wahre Flut
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