0063 - Der Hüter des Bösen
wirkte auf Bill Fleming wie ein Keulenschlag.
Er fühlte sich regelrecht gelähmt. Allerdings brauchte er nicht lange, um festzustellen, dass ihn nicht allein der Name mobilisiert hatte.
Seine ersten Ahnungen, dass der Aperitif nicht nur zu Erfrischungszwecken bestimmt gewesen war, erfuhren eine bedauerliche Bestätigung. Von den Schultern an konnte er sich nicht mehr bewegen.
Man hatte ihm wohl ein raffiniertes, besonders schnell wirkendes Nervengift verpasst.
»Okay, Mister Saadi«, sagte er. »Sieht so aus, als wenn Sie die erste Runde gewonnen hätten.«
Der Iraner lächelte. »Oh, ich bin ganz sicher, dass wir auch die folgenden Runden gewinnen werden, Mister Fleming.«
»Wir?«
»Wir sind eine internationale Organisation, die für die Freiheit kämpft!« Saadis Augen blitzten bei diesen Worten.
Bill verzog geringschätzig das Gesicht. »Fanatiker, also!«, sagte er.
»Freiheitskämpfer!«
»Wenn man Aas vornehm Leichnam nennt, so stinkt es doch keinen Deut weniger.«
Saadi war nicht beleidigt, sondern eher erheitert. »Sie gefallen mir, Mister Fleming.«
Bill überhörte dieses zweifelhafte Kompliment. »Wie sind Sie auf mich aufmerksam geworden?«, wollte er wissen.
»Auf Sie persönlich sind wir nur so nebenbei aufmerksam geworden«, antwortete der Iraner. »Unser eigentliches Interesse galt – und gilt noch – anderen Leuten. Ihren Freunden Zamorra und Duval, den Herren Mouslin, Giraudoux, Montpellier, Martin junior und senior, de Witter…«
»De Witter?«, ächzte Bill.
»Sie sagen es. Leider schon tot, der Mann, aber das macht ja nichts. Der Reigen geht weiter. Wir haben von Anfang an nahezu jeden Schritt der einzelnen Amulettträger unauffällig beobachtet. Es wird Sie freuen zu hören, dass wir auch im Gefängnis von Brüssel einen unserer Leute haben. Aber keine Angst, wir greifen nicht ein. Wir beobachten nur. Unsere Geschöpfe handeln von sich aus. Aber das werden Sie ja alles noch am eigenen Leibe verspüren.«
»Was wollen Sie damit sagen? Glauben Sie ja nicht, dass Sie mich so einfach verschwinden lassen können. Es ist allgemein bekannt, dass ich Sie aufgesucht habe.«
Saadi kicherte. »Verschwinden? Aber Sie werden nicht verschwinden, Mister Fleming. Sie wollten doch den Tempel sehen, nicht wahr? Sie werden ihn sehen, mit mir zusammen. Und dann kehren Sie in die französische Botschaft zurück. So einfach ist das. Nur… Sie werden natürlich nicht ganz der alte sein, Mister Fleming. Welchen Weggenossen würden Sie sich denn wünschen? Halum oder Ostra?«
»Nie gehört«, stellte Bill fest.
»Ah ja! Es mag sein, dass Sie die Namen nicht kennen. Aber Sie kennen ihr Aussehen. Ostra ist eine Verkörperung der Mensch-Vogel-Einheit, während Halum…«
»… der Bastard ist, der einer Kreuzung zwischen Neandertaler und Säbelzahntiger entsprungen ist. Verstehe schon.«
Zum ersten Mal zeigte sich Unmut in Saadis Gesicht. »Sie sollten diese respektlosen Töne lassen, Mister Fleming. Die Götter hören so etwas gar nicht gern.«
»Götter!«
»Es ist gleichgültig, welche Bezeichnung wir wählen, Mister Fleming. Götter, höhere Wesen, Mächte aus einer anderen Welt… Tatsache ist, dass es sie gibt.«
Bill musste zugeben, dass der Iraner in dieser Beziehung recht hatte. Die dunklen Mächte lauerten an den Nahtstellen zwischen den Welten. Zusammen mit Zamorra und Nicole hatte er in der Vergangenheit schon des öfteren ihre unliebsame Bekanntschaft gemacht.
»Okay«, sagte er. »Welche Funktion erfüllen Halum und Ostra?«
»Halum und Ostra sind Mächte, die in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander stehen. Ihr Hass ist Äonen alt. Halum verkörpert die Erde, Ostra die Luft. Ihr Kampf findet überwiegend ›drü- ben‹ statt. Allerdings sind sie auch bereit, den Kampf auf dieser Ebene zu führen. Kräfte ihres ›Id‹ strömen in Menschen, erzeugen in diesen unerklärliche Hassgefühle. Wenn der Hass übermächtig wird, materialisieren die geistigen Kräfte der Götter, werden sichtbar, fühlbar und körperlich wirksam. Sie selbst sind Zeuge solcher Materialisationen geworden.«
Bill nickte verstehend. »Und die Amulette sind sozusagen die Katalysatoren dieses… hm … Hasses der Götter.«
»Sie haben es erfasst, Mister Fleming.«
Für sein Leben gerne hätte sich Bill jetzt am Hinterkopf gekratzt.
Aber die Lähmung seiner Arme ließ dies nicht zu.
»Sagen Sie, Mister Saadi, wieso geben Sie mir eigentlich so bereitwillig Auskunft? Sie haben erklärt, dass Sie
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