0063 - Der Hüter des Bösen
in seinem Bewusstsein: Der Feind war nahe!
Nicole Duval!
Der Hass tobte in ihm wie ein wildes Tier. Jede Faser seines Körpers, der schon jetzt nicht mehr ganz aus seinem eigenen Fleisch und Blut bestand, fieberte dem Moment entgegen, in dem er mit ihr zusammentreffen würde.
Die Zeit des Abwartens wurde ihm zu lang. Über die unsichtbare Leitung, die der Hass zwischen ihm und ihr errichtet hatte, erfuhr er, dass sie nur ganz langsam den Weg fand, auf dem sie zu ihm stürzen konnte.
Er musste ihr entgegeneilen!
Erst jetzt machte er sich mit der Situation vertraut, in der er sich befand.
Mauern… ein unzerstörbares Schloss. Menschenkräfte konnten hier nichts ausrichten.
Der Hass half ihm, seine Kräfte gewaltig zu steigern. Er schmetterte seine Pranken gegen die Betonwände, so dass der Putz in großen Flächen abblätterte. Sein Gebrüll ließ Stein und Stahl erzittern. Aber die Festung wankte nur, sie fiel nicht.
Dennoch – so schnell ließ er sich nicht besiegen. Seine Zähne, Diamantbohrern gleich, machten sich ans Werk. Der Beton begann zu bröckeln.
Bald, Nicole Duval, bald!
***
Saadi rief ganz offiziell in der französischen Botschaft an und erklärte, dass er mit Mister Bill Fleming auf dessen speziellen Wunsch eine Reise zum Wüstentempel machen würde. Niemand fand etwas dabei.
Dann liefen die Reisevorbereitungen an, schnell und komplikationslos.
Eine schwere Limousine fuhr vor. Bill, inzwischen von der Nervenlähmung wieder befreit, wurde von zwei Killertypen in den Wagen gezwungen. Zwei kurzläufige Pistolen, die sich leicht in einem weitgeschnittenen Ärmel verstecken ließen, erstickten Fluchtgedanken bereits im Keim.
Die Limousine fuhr zu einem Privatflughafen etwas außerhalb der iranischen Hauptstadt, wo bereits eine sechssitzige Maschine bereitstand.
Mit von der Partie waren Saadi selbst, die beiden Killer, der Pilot und ein Bill bisher unbekannter Mann, bei dem es sich um einen Europäer aus dem Bereich jenseits des eisernen Vorhangs handelte.
Bill erfuhr, dass dieser Fremde als sein Hass-Partner ausersehen war. Die Saadi-Organisation wollte einmal ausprobieren, inwieweit die Hassströmungen durch schwer überbrückbare Grenzen beeinflusst wurden.
Eingerahmt von den beiden Pistolenmännern fand Bill einen nicht sehr bequemen Platz in der Maschine, die dann auch bald den Flughafen verließ.
Das Zielgebiet lag etwa tausend Kilometer von Teheran entfernt.
In ungefähr zwei Stunden also würden die Würfel aus dem Becher geschüttet werden.
Während des Fluges fand Bill sogar Gelegenheit, seinen noch nicht ganz gestillten Informationshunger weiter zu befriedigen. Saadi zeigte sich immer noch auskunftsbereit. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
Bill sagte: »Ich verstehe folgendes nicht: Wenn Mister… Wie heißt mein ›Partner‹ eigentlich?«
»Kucz!«
»Aha! Wenn Mister Kucz und ich diese… äh … Einsegnungszeremonie hinter uns haben … Wieso gehen wir uns dann nicht sofort an die Gurgel?«
»Eine berechtigte Frage, Mister Fleming, zweifellos. Passen Sie auf: Nehmen wir an, Ihr Weggenosse wird Ostra sein. Ihr Hass auf alle Menschen, die von Halum beherrscht werden, ist dann keineswegs augenblicklich in voller Intensität vorhanden. Sie können sich die Entwicklung ruhig in Form einer Kurve vorstellen. Zuerst spüren Sie gar nichts. Dann entsteht ein gewisses Gefühl der Abneigung, das sich langsam verstärkt. Die kleinen Schwächen Ihres Partners gehen Ihnen mehr und mehr auf die Nerven. Sie können es bald in seiner Gegenwart nicht mehr aushalten. Alles drängt Sie danach, einen möglichst großen Zwischenraum zu schaffen. Wenn Sie dann jedoch die räumliche Trennung herbeigeführt haben, sind Sie auch nicht zufrieden. Ihre Überlegungen gehen immer wieder zu dem anderen zurück – oder auch zu einem Ihnen noch unbekannten anderen Amulettträger der Gegenseite, den Sie sozusagen ›riechen‹. Aus Antipathie wird am Ende Hass. Das Hassgefühl steigt ins Immense an. Und dann können Sie es plötzlich nicht mehr ertragen. Der andere zieht Sie wie ein Magnet an. Sie haben nur noch den Wunsch, ihn zu vernichten. Den weiteren Fortgang kennen Sie wohl.«
In der Tat, den kannte Bill. Er hatte keine Fragen mehr. Den Rest des Fluges verbrachte er damit, nach Auswegen aus seiner fatalen Situation zu suchen. Ihm fiel jedoch nichts Brauchbares ein. Saadi hatte ihm gesagt, dass die Pistolen der Killertypen mit Nervengiftprojektilen bestückt waren. Und als
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