0063 - Sandra und ihr zweites Ich
wissen.
Die Hochseilartisten gingen ab, ein Zauberer trat auf, der als ersten Trick aus einem winzigen Zylinder ein riesiges Schild rollte.
Mir verging augenblicklich das Lachen. Auf dem Schild stand JOHN SINCLAIR SOFORT IN DIE HALLE KOMMEN! Das Publikum tobte vor Begeisterung, als ich aufstand. Jane Collins warf mir einen fragenden Blick zu. Ich zuckte nur die Schultern.
Dafür grinste jetzt Suko über sein ganzes breites Gesicht. Wenigstens unterhielt er sich. Das lenkte von den traurigen Gedanken ab.
Ich beugte mich zu meinen Freunden hinunter. »Laßt euch nicht stören«, sagte ich hastig.
»Soll ich mitkommen?« fragte Jane, aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin sicher gleich wieder da«, erwiderte ich und warf Suko einen vernichtenden Blick zu. »Hauptsache, es macht dir Spaß!«
»Tut mir leid, John.« Er prustete los. »Ich finde nur den Trick mit dem kleinen Zylinder so köstlich!«
»Schadenfreude ist die schönste Freude«, knurrte ich und schob mich durch die Zuschauerreihe.
In der Vorhalle des Theaters wartete ein Platzanweiser auf mich und führte mich in ein Büro ans Telefon. Ich hatte im Yard hinterlassen, wo ich an diesem Abend in dringenden Fällen zu erreichen war.
»Hallo, John«, sagte mein Kollege Featherton, als ich mich meldete. »Tut mir leid, daß ich dich störe, aber ich habe hier im Yard eine merkwürdige Sache. Ein Mann ist völlig verstört zu mir gekommen und hat gemeldet, daß er seine Freundin ermordet in ihrem Haus aufgefunden hat.«
Ich holte tief Luft. »Und warum holst du mich mitten aus der Vorstellung?« fragte ich meinen Kollegen. »Ihr werdet die Ermittlungen doch allein aufnehmen können.«
»Das schon«, meinte Featherton zögernd. »Aber da ist noch etwas. Der Mann – ein gewisser Larry Flint – behauptet, in dem Mordzimmer wäre, ein schwarzer Altar aufgebaut. Du weißt schon, mit schwarzen Kerzen und einer Satansstatue und allem, was dazugehört. Ich wollte warten, ehe ich etwas unternehme.«
Aus dem Zuschauerraum hörte ich das donnernde Gelächter des Publikums und tosenden Beifall. Ich seufzte. »In Ordnung, ich komme«, antwortete ich.
»Das ist in Wimbledon.« Featherton nannte die Adresse.
Der Abend war für mich gestorben. Aber so ist das nun einmal, wenn man Oberinspektor bei Scotland Yard und noch dazu Geisterjäger ist. Ich hatte keine Zeit mehr, Jane und Suko Bescheid zu sagen, sondern hinterließ an der Garderobe eine Nachricht für sie. Dann zog ich mir meinen Mantel über den Kopf und rannte durch den strömenden Regen zu meinem Bentley.
Während ich durch die menschenleere Stadt fuhr, dachte ich nicht mehr an Hochseilclowns und Illusionen. Ich konzentrierte mich auf den bevorstehenden Kampf gegen die höllischen Mächte. Automatisch tastete ich nach dem silbernen Kreuz, das um meinen Hals hing. Außer diesem Kreuz hatte ich keine Waffe gegen das Böse bei mir. Ich hatte nicht mit einem Einsatz gerechnet.
Das Kreuz mußte genügen. Ich würde hoffentlich nicht gleich auf einen Dämon treffen.
Doch dann kam es ganz anders. Die Nacht hielt noch grausige Überraschungen für mich bereit.
***
Mein Kollege Featherton parkte bereits vor einem verwilderten Garten in dem Londoner Stadtteil Wimbledon.
Er und ein Mann Anfang dreißig stiegen aus, als ich den Bentley hinter dem Yardwagen an den Straßenrand fuhr und die Lichter löschte.
»Ich dachte, wir sehen uns die Tote erst einmal an«, sagte mein Kollege und deutete auf ein düster wirkendes Haus zwischen den ungepflegten Bäumen und Sträuchern. »Dann überlasse ich es dir, was wir unternehmen!«
Ich nickte und musterte Larry Flint. Er starrte ängstlich zu dem Haus hinüber, ging aber mit uns mit, als wir uns dem Eingang näherten.
»Wie heißt Ihre Freundin?« erkundigte ich mich.
»Sandra, Sandra Stanwick.« Er wischte sich die Regentropfen aus dem bleichen Gesicht. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse konnte ich seine unnatürlich geweiteten Augen sehen. »Wir haben uns vor ein paar Monaten kennengelernt. So richtig befreundet waren wir eigentlich nicht… sie war manchmal komisch, wissen Sie… ich…«
Er brach ab, als wir die Halle betraten, schluckte schwer und deutete nach oben. Wir stiegen eine knarrende Holztreppe hinauf. Im ersten Stock brannte eine trübe Lampe. In ihrem Schein gingen wir auf eine nur angelehnte Tür zu.
Ich streckte die Hand auf und versetzte der Tür einen Stoß. Quietschend schwang sie nach innen auf.
Mitten im Raum stand eine
Weitere Kostenlose Bücher