0069 - Das Gericht der Toten
allein die Magie des großen Osiris«, sagte er. »Und die ist für alle Kaas gleich.«
»Jetzt bin ich doch nicht mehr da«, machte der Historiker seinem Nichtverstehen Luft. »Dann sag uns doch endlich, wovor du so einen Bammel hast, daß du sogar uns Sterbliche um Hilfeleistung angegangen bist.«
»Gleich werdet ihr mich verstehen«, antwortete Sekere, nachdem er sich abermals durch einen tiefen Schluck aus dem Weinkrug gelabt hatte. »Ptah ist der Schutzpatron des verfluchten Pharao. Und mehrere der Dämonen der Letzten Gerichtsbarkeit sehen Ptah ebenfalls als ihren Herrn an. Trage ich Wasser in den Nil, wenn ich…«
»Verstehe, verstehe«, unterbrach der Professor. »Du fürchtest, daß sich einer der Dämonen mit Neferptah verbündet und zum Organ seiner Rache wird. Sind denn die Dämonen in der Lage, einen Kaa zu töten und in die Unendlichkeit des Nichts stürzen zu lassen?«
Sekere nickte düster. »Nur die zweiundvierzig Messer der Gerechtigkeit können einen Toten töten. Mancher Frevler ward enthauptet und…« Die Stimme versagte ihm.
In der Tat, dachte Zamorra. So gesehen hatte der gute Sekere wirklich Veranlassung, um sein Leben zu fürchten.
Eins war ihm noch unklar.
»Sekere«, sagte er. »Wie, dachtest du, könnten wir dir behilflich sein in deiner Konfrontation mit Neferptah?«
Der Amon-Priester winkte müde ab.
»Ein leerer Wahn«, gab er zu. »Der Gedanke war mir gekommen, daß die Magie des Silberglanzes den Dämonen trotzen könnte. Jetzt aber tragt ihr die Zeichen der letzten Gerichtsbarkeit. Eure Macht war nicht größer als die meine.«
Mit diesen Worten hielt er seine Füße ins Fackellicht und wies mit einer bezeichnenden Handbewegung auf sie. Die Zehen fehlten.
Messerhiebe hatten sie abgetrennt.
»Dennoch!« sagte Zamorra. »Wir werden auf Neferptah warten.«
Schließlich waren sie deshalb ins Reich des Osiris gekommen.
***
Stunde um Stunde verging, zwei Tage und zwei Nächte. Keine Spur von Neferptah, dem verfluchten Pharao, dem es zu verdanken war, daß sich Nicole im Wahnsinn krümmte. Zur Freude Sekeres, zum Leidwesen von Bill und Zamorra.
Nicole!
Sekere hatte sie gelehrt, ins Diesseits zu blicken. Es gehörte eine ungeheure mentale Kraft und ein gewaltiges Konzentrationsvermögen dazu, aber beides besaß Zamorra in hohem Maße. Bill hatte bald gepaßt, dem Professor jedoch war es gelungen.
Er hatte Madhvakrishna gesehen, der sich nach Los Angeles abgesetzt hatte. Er hatte sich selbst und Bill gesehen, scheintot auf dem Teppich in des Freundes living room liegend. Und er hatte Nicole gesehen.
Bedauernswerte Nicole. In eine Zwangsjacke geschnürt, vollgepumpt mit Drogen, flackernden Irrsinn in den Augen.
Zamorra hatte seine Gedanken in ihr Bewußtsein geschickt, hatte zu ihr gesprochen. Aber sie hatte ihn nicht erkannt, hatte nur einen neuen Tobsuchtsanfall bekommen, so daß er resignierend gezwungen gewesen war, von ihr abzulassen.
Nur die Gegenformel zu Madhvakrishnas Beschwörung konnte ihr Rettung bringen.
Am Ende des zweiten Tages reichte es Zamorra. Er war nicht gewillt, noch länger zu warten. Er wollte Neferptah haben. Jetzt! Und wenn sein Kaa dabei zerstört wurde… Schicksal.
Immerhin bestand auch die Möglichkeit, daß der Kaa des Pharaos mit sich reden lassen würde. Nicht er und Bill waren seine Feinde, sondern Sekere und seine Amon-Priester.
Entschlossen teilte er Sekere mit, daß er Neferptah nun rufen würde.
Der Amon-Priester war entsetzt.
»Hat die Vermessenheit dir den Verstand getrübt?« entrüstete er sich. »Noch kennt der Verfluchte das Grabmal des Aja-Chet nicht. Andere Priester des Amon hat das schreckliche Schicksal des Großen Nichts bereits erreicht. Achetamun fand man enthauptet vor des Djosers Pyramide. Und Beks Kopf trieb in den Fluten des blauen Wassers. Der Dämon, der Neferptah zu Willen ist, hält grausige Ernte.«
Zamorra blieb beharrlich, zeigte sich aber kompromißbereit.
»Nenne mir die Formel, die die Flüche der Ewigen Umnachtung zunichte macht«, sagte er. »Dann bin ich gerne bereit, Neferptah weiterhin in Unkenntnis über dieses Versteck zu lassen.«
»Ich kenne die Formel nicht. Nur der Gott selbst, seine Jünger…«
»Das hatten wir schon«, sagte der Professor dazwischen. »Also, du hast meine Entscheidung vernommen.«
»Du wagst es nicht!« tobte der Amon-Priester. »Ich werde dich… werde dich …«
Bill mischte sich ein.
»Was willst du, kleiner Mann?« fragte er grollend. »Uns töten
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