Die Liebeslist
PROLOG
Januar 1158 – ein nasskalter Winter, vier Jahre nach Beginn der Regentschaft von König Henry II. von England.
Clifford Castle – eine entlegene Grenzfestung in den walisischen Marken, dem Grenzland zwischen Wales und England.
„Halt! Was soll denn das, in Gottes Namen?“
„Seht Ihr doch!“ Der unbekannte Ritter, der die beeindruckende Streitmacht anführte, mochte angesichts der Lady zwar überrascht sein, verzog jedoch kaum eine Miene und übersah die junge Dame ganz bewusst. Im bitterkalten Wind am ganzen Leibe zitternd, stand sie oben auf der Treppe, die vom eng umfriedeten Burghof hinaufführte zum Wohnbereich der Burg, dem steinernen Palas. Offenbar wutentbrannt stemmte sie die Fäuste in die Seiten und starrte den Fremden an, der sie keines Blickes würdigte. Neben ihr befand sich ein weiteres weibliches Wesen, auch dieses gegen die Elemente bis unter die Nasenspitze in viele Schichten Stoff gehüllt. Der Ritter indes erteilte ungerührt knappe Befehle, ließ seine Männer absitzen und trug ihnen auf, die Festung zu sichern.
Die Lady wollte etwas sagen, presste aber dann die Lippen fest aufeinander. Mit ihren grünen Augen, klar und scharf wie Glas in einem Kirchenfenster, die Brauen dunkel und wundervoll geschwungen, verfolgte sie die planmäßige Besetzung ihrer Burg in stummem Entsetzen. Ihr üppiges rotbraunes Haar war durchsetzt mit goldenen und rostroten Tönen, schimmerte und glänzte wie die herbstliche Frucht des Kastanienbaums. Jetzt allerdings war es vom peitschenden Wind zerzaust zu einer wilden Mähne. Sie achtete nicht darauf. Sprachlos wie nur selten zuvor in ihrem bisherigen Leben rang sie nach Worten, um ihrer Bestürzung, der nackten Wut Ausdruck zu verleihen, fassungslos und wie gelähmt. Allerdings nicht lange.
„Was habt Ihr hier zu suchen? Wer seid Ihr? Wer hat Euch das Tor geöffnet?“
„Ich bin Gervase Fitz Osbern.“ Er machte keine Anstalten, weitere Erklärungen abzugeben.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte die Lady das Emblem auf den zahlreichen Bannern und Wimpeln, die knatternd an den Soldatenspießen flatterten. Ein drachenähnliches Fabelwesen, silbern auf schwarzem Grund, den Rachen aufgerissen zu einem grimmigen Knurren. Sie hatte ein solches Wappen noch nie gesehen. Gervase Fitz Osbern? Wer mochte das sein? Ein Räuberhauptmann mit seiner marodierenden Bande? Ein Raubritter gar? Von denen trieben nämlich etliche hier in der Gegend ihr Unwesen – rohe, gesetzlose Gesellen, die sich von niemandem Vorschriften machen ließen, nicht einmal vom König. Jedenfalls kam er ihr wie ein Raubritter vor. Mit bitterbösem Blick musterte sie den Mann, der inzwischen ebenfalls von seinem Pferd abgesessen war und nun in ihrem Burghof stand, flankiert von einem älteren Ritter, der sich stumm zu ihm gesellt hatte. Um beide herum tollte ein Windhund, ebenso schlank und sehnig wie sein Herr, aufgeregt hin und her und zwischen den Beinen der Pferde hindurch.
Fitz Osbern … Sie hob die Stimme, um den Lärm, der über ihre Heimstatt hereingebrochen war, zu übertönen. „Ich verstehe nicht, was das Ganze hier soll!“
„Was mich nicht im Geringsten interessiert, Lady.“ Fitz Osbern warf seinem jungen Knappen die Zügel seines dunkelbraunen Hengstes zu. „Bryn!“ Mit einem Fingerschnipsen befahl er seinen Hund bei Fuß und wandte sich dann den Stallungen zu. Dabei gab er seinen Männern weiterhin mit befehlsgewohnter Stimme Anweisungen.
Das wiederum riss die junge Dame aus ihrer Erstarrung. Wer er war oder nicht war, tat ganz und gar nichts zur Sache. „Ich dulde keine Widerrede in meinem eigenen Haus!“ Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit eilte sie die Treppe hinunter und über den Burghof auf den Ritter zu. Unerschrocken packte sie ihn bei einer Falte seines Mantels, machte aber ein angewidertes Gesicht, als sie die schmierig-feuchte Schlammschicht auf dem Stoff zwischen den Fingern fühlte. „Ihr habt kein Recht, hier Befehle zu erteilen!“
„Das ist mir neu!“
Er schüttelte sie ab, als wäre sie – zumindest nach ihrem Eindruck – ein lästiger Hundewelpe, und hatte dann auch noch die Unverfrorenheit, ihr abermals den Rücken zuzukehren.
„Diese Burg ist mein Zuhause! Mein Eigentum! Mein Erbe!“ Selbst verunsichert durch den bestürzten Unterton, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte, zerrte sie abermals an dem Mantel, um den Ritter am Weitergehen zu hindern. „Was fällt Euch ein, hier einfach so hereinzureiten und …“
Der Ritter
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