007 - Die Nacht mit dem Teufel
Gedanken gemacht. Seit er Line wieder gesehen hatte, war er offenbar bedeutend kritischer geworden.
Er schüttelte den Kopf. Nein, erstaunlich war nur, dass ihm diese Dinge nicht schon längst aufgefallen waren. Dass er jetzt darüber nachdachte, war nur zu natürlich.
Ein Blick auf die Uhr ließ ihn rasch aufstehen. Es war spät geworden. Wenn er noch vor Bonitas Rückkehr aus dem Haus sein wollte, musste er sich beeilen. Traf sie ihn an, dann würde er ihr prompt von seiner Verabredung mit Line erzählen, das wusste er. Ebenso wusste er, dass es ihr gelingen würde, ihn zurückzuhalten. Sie konnte ihm beinahe alles ein- oder ausreden, dachte er unglücklich.
In seinem Kopf hämmerte es jetzt wie verrückt. Im Bad nahm er zwei kleine rosa Pillen aus der Flasche, die Bonita ihm gegeben hatte, sie waren das einzige Mittel, das ihm gegen seine Kopfschmerzen half. Er war froh, dass er sie hatte, wenn er auch ihre Zusammensetzung nicht kannte.
Andy hatte sie bereits im Mund und hielt schon ein Glas Wasser in der Hand, als ihm einfiel, dass er nach Einnahme dieser Pillen meist in tiefen Schlaf versank. Sofort spuckte er sie in den Ausguss und nahm lieber zwei Aspirin.
Ich muss mal wieder zum Arzt, nahm er sich vor. Sein Hausarzt, der alte Dr. Smith, hatte allerdings das letzte Mal nicht den kleinsten Krankheitsherd bei ihm entdecken können. Andy hatte schon den Verdacht gehabt, dass er zu allem Überdruss auch noch hypochondrisch geworden war. Doch dann hatte Bonita einen gewissen Dr. Henry vorgeschlagen, mit dem sie befreundet war, und der hatte wenigstens irgendetwas gefunden, obwohl Andy die Diagnose nicht recht verstanden hatte.
Nach vierzig Minuten war er rasiert und geduscht und kleidete sich nun zum Ausgehen an. Seine Kopfschmerzen waren inzwischen so fürchterlich geworden, dass er kaum noch schauen oder gar denken konnte. Sie überrollten ihn wie eine Flutwelle, wie eine Brandung in den Lagunen, wie Feuer tobten sie in seinem Kopf. Er hatte Mühe, den Brechreiz zu unterdrücken. Und dann legten sie sich plötzlich, zwar nicht gänzlich, aber doch so weit, dass er den nächsten Anfall doppelt stark spürte.
Er taumelte ins Bad und starrte die rosa Pillen mit glasigen Augen an, begnügte sich aber mit einem dritten Aspirin.
Bonita massierte ihm bei solchen Anfällen immer den Nacken, und das half meist, aber er wollte nicht auf sie warten.
Störrisch riss er ein Hemd aus dem Schrank und zog dann den erstbesten Anzug an, den er fand. Bonita würde bald zurück sein. Er legte den größten Wert darauf, ihr nicht zu begegnen.
Als er fertig angezogen war, eilte er in die Diele, wo er beinahe mit Boult zusammenstieß.
Der Diener musterte ihn überrascht.
„Gehen Sie aus?“ fragte er missbilligend.
„Ja.“
„Weiß Miss Devlon davon?“
Wieder schlug eine Flutwelle des Schmerzes über ihm zusammen. Er schwankte und stützte sich gegen das Treppengeländer.
„Nein“, sagte er.
Und als der Schmerz wieder etwas nachließ, eilte er rasch zur Tür.
„Wo sind Sie, falls sie mich nach Ihnen fragt?“ rief Boult ihm nach.
Fast sah es so aus, als wollte er ihm den Weg verstellen, doch dann besann ersieh.
„Unterwegs“, antwortete Andy und entfernte sich, bevor Boult ihn daran hindern konnte.
Wie dumm von mir, dachte er. Ich werde mich doch nicht vor meiner eigenen Dienerschaft fürchten!
Aber er hatte Angst vor dem Ungetüm.
Genau genommen war Boult eigentlich nicht sein Diener. Bonita hatte ihn mitgebracht, als sie ins Haus eingezogen war. Nein, auch das stimmte nicht.
Boult war schon vor ihr da gewesen.
Er schüttelte den Kopf. Er wusste es wirklich nicht mehr. Jedenfalls beschloss er, gelegentlich mit seinem Vater über die Entlassung dieses unfreundlichen und herrschsüchtigen Kerls zu sprechen.
Vor der Garage blieb er unschlüssig stehen. Er wusste, dass er in diesem Zustand nicht Auto fahren sollte, andererseits fand er unterwegs vielleicht nirgends ein Taxi.
Er setzte sich ans Lenkrad seines Jaguars und startete. Beim Umwenden sah er, dass Boult ihn vom Fenster des Salons aus beobachtete.
Verdammt noch mal, war er dem Ekel etwa Rechenschaft schuldig?
Er fuhr äußerst vorsichtig und mit zusammengebissenen Zähnen. Längst schon beschränkten sich die Schmerzen nicht nur auf seinen Kopf. Jeder Muskel tat ihm jetzt weh, und er war in Schweiß gebadet. Der Anfall war noch schlimmer, als er erwartet hatte. Einzig die Aussicht, Line zu treffen, hielt ihn aufrecht.
Es war jetzt zwölf Uhr.
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