007 - Die Nacht mit dem Teufel
Das Haus war einmal elegant gewesen. Und wie das Haus hatte auch der Mann, der ihnen auf ihr Klingeln hin öffnete, einmal bessere Tage gesehen. Selbst jetzt wirkte er noch ehrfurchtgebietend. Es sah so aus, als überrage er seine Mitmenschen, obwohl er nur ein Meter siebzig groß war. Sein Händedruck war fest und energisch. Er war alt. Die Jahre hatten deutliche Spuren in seinem gut geschnittenen Gesicht hinterlassen, was seiner Schönheit keinen Abbruch getan hatte. Aus seinen erfahrenen Augen sprach Güte.
„Sie erinnern sich an Dan Reilly, Professor?“ sagte Line Adams und wies auf seinen Freund.
„Natürlich. Treten Sie ein.“
Sie schüttelten einander die Hände, dann führte er sie ins Haus.
„Wir gehen in mein Studierzimmer, wenn es Ihnen recht ist. Dort sitzen wir nämlich am bequemsten.“
Im Kamin brannte ein kleines Feuer. Auf dem Tisch stand der Sherry bereit, und die Kristallgläser funkelten im Widerschein des Feuers. Behaglich sahen die Besucher dem Professor beim Einschenken zu.
Line liebte diesen Raum, so wie er den Gastgeber liebte. Hier fühlte er sich wohl. Sein Blick streifte den Schreibtisch, auf dem eine Reihe ledergebundener Bücher stand. Die Patina verlockte dazu, zärtlich darüberzufahren. Die übrigen Bücher waren in Regalen untergebracht, die sich über eine ganze Wand erstreckten. Shakespeare war vertreten und Tolstoi – in russischer Sprache – und Durant. Die Buchrücken waren abgegriffen, denn jeder Band war viele Male gelesen worden.
Ein unverwechselbarer Geruch hing im Raum. Es duftete nach alten Büchern, nach kaltem Tabakrauch, nach brennendem Nadelholz und nach edlem Wein. Ständig knisterte und raschelte es in dem alten Haus. Unwillkürlich drängte sich einem der Gedanke an Geister auf, aber die Atmosphäre war nicht beängstigend. In diesem Haus konnte sich kein böser Geist einnisten. Gemächlich tranken sie den Wein, tauschten Komplimente aus und erwähnten den einen oder anderen gemeinsamen Bekannten.
„Wissen Sie, dass Lars gestorben ist?“, sagte der Professor.
Lars war ein guter alter Freund gewesen. Mein Gott, dachte Line beschämt, so lange ist es also her, seit ich zum letzten Mal hier gewesen bin!
Line ließ sich Zeit, um seine Gedanken zu ordnen.
„Es wird wohl am besten sein, ich beginne ganz von vorn“, sagte er. „Wie haben einen jungen Freund. Dan lernte ihn vor rund zwei Jahren kennen und stand seit damals in loser Verbindung mit ihm. Er hat uns mittlerweile miteinander bekannt gemacht und …“
Line setzte kurz ab. Die weißen Brauen des Professors hoben sich fragend.
„… und wir wurden sehr gute Freunde.“
„Sie sagten Jung’. Heißt das, dass ich mir einen sehr jungen Mann vorzustellen habe?“
Line errötete deutlich. Er wich dem Blick des Professors aus und trank einen Schluck Sherry, ehe er antwortete.
„Er ist noch nicht ganz einundzwanzig. Damals war er neunzehn.“ Er überwand seine Verlegenheit und fuhr in möglichst forschem Ton fort. „Eine Zeitlang ging alles gut, aber allmählich kam es zwischen uns zu Meinungsverschiedenheiten. Kurz und gut, ich hatte ihn länger als ein Jahr nicht mehr gesehen, bis ich ihm gestern begegnete. Und hier kommt Dan in die Geschichte. Es wird wohl am besten sein, wenn Dan Ihnen mit eigenen Worten erzählt, was er weiß. Er hat nämlich den Eindruck, dass es nicht gut um Andy steht.“
Dan hatte sich bequem in seinem Stuhl zurückgelehnt gehabt. Jetzt räusperte er sich und beugte sich vor.
„Ja, ich hatte Andy auch mehrere Wochen lang nicht mehr gesehen. Vielleicht waren es sogar Monate. Irgendwann hatte ein gemeinsamer Bekannter einmal eine Bemerkung über Andys neue Freunde gemacht. Ich hatte sofort gefragt, was er damit meinte. Der Bekannte hatte erklärt, er hätte ihn mehrmals in Begleitung höchst sonderbarer Leute in der Stadt gesehen. Vorige Woche nun – das war etwa einen Monat nach der Bemerkung dieses Mannes – traf ich Andy zufällig im Turnsaal des Klubs. Wir kamen ins Gespräch, plauderten von alten Freunden und gingen dann zusammen in den Umkleideraum. Ich muss hier einfügen, dass Andy immer ziemlich fromm gewesen war. Er besaß ein auffallend schönes Kruzifix – ein Andenken, wenn ich nicht irre – das er ständig trug. Mir fiel an diesem Tag auf, dass er es nicht umhängen hatte, aber ich nahm an, er hätte es abgelegt, um es beim Turnen nicht zu verlieren. Sonderbar war nur, dass er es auch nicht aus seinem Garderobenschrank nahm. Aber das war noch
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