008 - Hexenbalg
das Leben verlieren wollte. Sie würde davonlaufen – vor Effie, vor der Polizei, vor Jim und den weißen Hexen. Und das musste möglichst rasch geschehen, bevor die Polizei Verdacht schöpfte.
Aber wohin? Nach Europa. Rom. Ja, sie hegte eine alte Vorliebe für Rom. Sie rief ein Taxi und ließ sich zum Bahnhof bringen, wo der Vorortzug sie nach Manhattan bringen sollte. Sie musste packen und brauchte Geld.
Um dem Streifenwagen der Polizei zu entgehen, stieg sie in einiger Entfernung von ihrem Haus aus und benutzte einen Hintereingang. Statt den Lift zu nehmen, lief sie die Treppe hinauf. In der Wohnung begann sie sofort mit dem Packen.
»Beth! Was soll das?«
Sie drehte sich erschrocken um. Sie hatte nicht erwartet, dass Karen um diese Zeit zu Hause wäre. »Wo warst du?« fragte Karen. »Die Polizei wollte es auch wissen, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Warum packst du?«
»Ich war die Nacht über im Haus von Jim Sanders und möchte wieder dorthin, weil ich dort mehr Ruhe habe.«
»Na, sag das dem Beamten draußen vor der Haustür. Warte – ich helfe dir.«
Beim Abschied umarmte Beth ihre Freundin. »Wir – wir sehen uns bald.«
Sie verließ das Haus wieder durch den Hinterausgang. Sicher ahnte Karen, was sie vorhatte, aber man konnte sich darauf verlassen, dass sie dichthalten würde.
Inzwischen hatte heftiger Regen eingesetzt. Beth konnte sich nicht erinnern, die Stadt jemals so trübe und verhangen erlebt zu haben. Und mit dem Einsetzen des Regens waren sämtliche Taxis verschwunden, und Beth musste mit ihrem Koffer zu Fuß gehen. Sie spürte die Nässe durch ihre Schuhe und entschloss sich, an der nächsten Station die Untergrundbahn zu nehmen. Ihr erstes Ziel war das Haus Gipson.
In der Empfangshalle des Modehauses versteckte sie ihren Koffer hinter einer Couch und ging an eines der cremefarbigen Telefone. Sie wählte die Nummer des Flughafens. Die nächste Maschine nach Rom startete um zwei Uhr. Jetzt war es elf.
Damit waren die Würfel gefallen. Wenn sie erst an Bord der Maschine war, hatte Effie erreicht, was sie wollte. Beth musste für den Rest ihres Lebens so tun, als hätte sie nie ein Kind gehabt, als wäre es in der Wiege gestorben.
Beth ging in die Personalabteilung und wollte sich für eine Woche abmelden und gleichzeitig ihr Gehalt holen.
»Da muss ich Mr. Gipson verständigen«, hieß es. »Er muss den Scheck unterschreiben.«
Beth ging unruhig auf und ab, während das Mädchen Marq anrief.
»Sie sollen sofort hinaufkommen!« Beth lief eilig in Marqs Büro.
»Beth, was hast du vor?« empfing er sie.
Sie tischte ihm die gleiche Lüge auf wie Karen. »Ich möchte ein paar Tage zu einem Bekannten aufs Land.«
Er unterschrieb den Scheck und reichte ihn ihr mit einem Seufzer. »Dabei brauche ich dich jetzt so dringend.«
»Marq, ich könnte jetzt nicht arbeiten. Und überdies ist es nicht gut, wenn ich als Verdächtige hier im Hause bin.«
Seine Sekretärin steckte den Kopf herein.
»Bin gleich wieder da«, sagte er. »Du wartest doch einen Augenblick?«
»Nein, ich bin in größter Eile.«
»Bitte, warte!« Und weg war er. Beth sah unruhig auf die Uhr. Halb zwölf. Sie musste noch den Scheck einlösen und zum Flughafen hinausfahren. Gleich darauf ging die Tür auf. »Das ging aber rasch!« sagte sie erleichtert und drehte sich um. Der Eintretende war nicht Marq – es war Dr. Bollard, ihr Psychiater.
Sie brauchte nur einen Augenblick, um sich einen Reim darauf zu machen. Karen hatte Marq angerufen, da sie annahm, Beth würde zu ihm kommen. Und Marq hatte den Arzt angerufen.
Er setzte sich in einen Sessel zwischen Beth und der Tür. »Beth, Sie wollen doch nicht etwa davonlaufen? Das wäre das Eingeständnis Ihrer Schuld. Mit Davonlaufen löst man keine Probleme.«
Beth bewahrte nur mit Mühe ihre Fassung. »Dr. Bollard, Sie werfen mit Phrasen um sich. Wenn Sie mir abraten, vor Effie Saxton davonzulaufen, könnten Sie mir ebenso gut empfehlen, einem Schnellzug nicht auszuweichen. Nicht einmal Sie können das Vorhandensein okkulter Kräfte mit Sicherheit abstreiten.«
»Nein, das kann niemand. Jeder hat mal mit unerklärlichen Vorkommnissen zu tun. Aber Sie, Beth, lassen sich von diesen Dingen völlig beherrschen.«
»Mein ganzes Leben ist unerklärlich geworden. Ich bin der leibhaftige Beweis für das Vorhandensein von Hexerei. Ich soll nämlich wegen eines Mordes verhaftet werden, den ich gar nicht begangen haben kann. Ich kann es einfach nicht getan haben,
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