0081 - Der Sensenmann als Hochzeitsgast
seine Gewalt zu bekommen. Doch der Anschlag im Wagen war mißlungen. Nun spielte er seinen höchsten Trumpf aus.
Einen Trumpf, vor dem ich Angst hatte.
»Es war mir klar, daß du Ärger machen würdest!« rief er. »Aber du kannst gar nicht anders, als zu mir zu kommen. Schau in den Bus! Siehst du die Kinder? Wenn du möchtest, daß sie am Leben bleiben, dann liefere dich mir aus!«
***
Jetzt hatte er das ausgesprochen, womit ich längst gerechnet hatte. Ich war nicht einmal überrascht und verspürte seltsamerweise auch kein Herzklopfen.
»Wie lautet deine Entscheidung?«
Ich hob die rechte Hand. »Okay, Höllendiener, ich komme zu dir!« erwiderte ich mit rauher Stimme.
Sekundenlang stand das Schweigen wie eine Wand zwischen uns. Danach rieb der Schwarze Tod seine Knochenhände gegeneinander.
»Das war es, was ich von dir wollte.« Dann fauchte er: »Wirf dein verdammtes Kreuz weg, Sinclair! Los, wirf es fort!«
Ich schüttelte den Kopf. »Erst die Kinder!«
»Nein!« donnerte seine Stimme.
Ich blieb hart.
Der Schwarze Tod schwang sich in die Luft. Er schleuderte den Koffer weit hinter den Bus, weil er ihn behinderte und er die Sense mit beiden Fäusten umklammern wollte. Ich ahnte, wie er mich zu töten beabsichtigte.
Mit einem Sensenstreich.
Wie auch Karin Mallmann.
Der Schwarze Tod landete neben dem Bus. Seine weißen Augen leuchteten. Sein Maul klaffte auf, und er schrie: »Das Kreuz!«
»Erst die Kinder!«
»Treib es nicht zu weit!« fuhr er mich an.
»Die Kinder!«
Da riß der Schwarze Tod die Fahrertür auf. Sofort entstand Gedränge im Bus. Jeder wollte zuerst am Ausgang sein, doch als sie das Skelett sahen, wichen sie schreiend zurück.
Der Schwarze Tod aber griff mit der freien Hand zu und bekam ein blondes Mädchen an der Schulter zu fassen.
Brutal schleuderte er es aus dem Bus.
Das Mädchen fiel zu Boden und weinte herzzerreißend. Eine Frau schrie: »Uschi, bitte…«
Der Schwarze Tod hob die Sense. Die Spitze schwebte aber dicht über dem Kopf des Mädchens.
Mir blieb fast das Herz stehen.
»Wie ist es, Sinclair, hast du noch immer so eine große Klappe?«
»Du hast gewonnen«, erwiderte ich rauh.
Der Schwarze Tod lachte. »Dann her mit deinem verdammten Kreuz!« schrie er.
Ich streifte meinen silbernen Talisman über den Kopf, trennte mich damit von meiner letzten Waffe…
»John ist verrückt!« flüsterte Bill Conolly der Detektivin zu. Er und Jane Collins standen – von Bäumen gut gedeckt – nahe des Platzes. Sie hatten einen guten Überblick und beobachteten das Geschehen praktisch wie auf einer Bühne.
»Er kann nicht anders«, erwiderte Jane Collins. »Dieser Dämon erpreßt ihn mit den Kindern.«
»Dann ist John verloren«, flüsterte Bill.
Jane Collins schwieg. Sie dachte zwar nicht so pessimistisch wie der Reporter, aber große Chancen für mich sah sie auch nicht. Trotzdem wollten beide nicht tatenlos zusehen.
Bills Blick glitt an dem Bus vorbei und blieb am Eingang des Gasthauses hängen.
»Da steht Suko«, raunte er Jane Collins zu.
»Warum greift er nicht ein?«
Bill hob die Schultern. »Der Schwarze Tod hat den Koffer. Suko ist waffenlos.«
Jane unterdrückte ein Schimpfwort.
Der Reporter trat einen Schritt vor. Der Schwarze Tod wandte ihm den Rücken zu. Sein langer Mantel flatterte im Wind. Dann hob Bill Conolly die Hand. Er winkte mir zu, bewegte die Finger und hoffte nur, daß ich das Zeichen verstanden hatte…
***
Als ich das Kreuz über meinen Kopf streifte, hatte ich das Gefühl, mich von meiner Seele zu trennen. Sekundenlang ließ ich es noch auf meinem Handteller liegen, schaute es an.
»Weg damit!« schrie der Schwarze Tod.
Ich hob den Blick.
Plötzlich sah ich am Waldrand eine Bewegung. Dort erschien Bill Conolly.
Er hob den Arm, winkte und bewegte dabei die Finger. »Willst du, daß die Kleine stirbt?«, brüllte der Dämon.
»Nein«, erwiderte ich, schloß die Hand zur Faust und schleuderte das Kreuz weit von mir.
Es beschrieb einen Halbkreis, blitzte ein paarmal wie ein hochkarätiger Diamant und fiel dann in den Staub. Dort blieb es liegen. Der Schwarze Tod aber verkündete lauthals seinen Sieg. Er schleuderte mir die Worte mitten ins Gesicht. »Waffenlos, John Sinclair!« brüllte er. »Du bist waffenlos. Das habe ich mir schon immer gewünscht. Endlich ist es eingetreten. Komm her!«
Ich ging.
Das Mädchen lag auf dem Boden. Es weinte leise und hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Die anderen Kinder und auch
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