0084 - Schreie in der Hexengruft
der Professor auf das Amulett in seiner Hand.
Ihm verdankte er also einmal mehr die Übermittlung eines dämonischen Geschehens. Und sogar das Land, in dem das Unrecht geschah, hatte er gleich in den ersten Minuten erfahren! Und den Namen eines gequälten Mädchens.
»Idrina Matilec«, sagte er halblaut vor sich hin. Er wiederholte sich den Namen ein paarmal. Er würde ihn nie wieder vergessen.
»Idrina Matilec«, sagte er gerade, als Nicole zurückkam.
***
»Wer ist das, Idrina?« fragte Zamorras Sekretärin.
»Das fremde Mädchen, das in Gefahr ist. Wie gut, daß wir ihren Namen kennen.«
»Sie muß irgendwo vermißt werden«, bestätigte Nicole. »Vielleicht haben die Zeitungen schon davon berichtet. Dann haben wir gleich einen Anhaltspunkt, wenn wir in Bukarest landen.«
»Richtig«, sagte Zamorra. »Und wann landen wir in Bukarest?«
Statt einer Antwort legte Nicole Duval einen Zettel vor Zamorra auf den Tisch.
Sie hatte alles notiert.
Abflug Paris zehn Uhr zwanzig. Über Genf-Zürich-Wien. Dann Belgrad-Budapest-Bukarest.
»Wir müssen vor zehn Uhr in Paris sein. Also heißt es früh aufstehen.«
»Sehr früh«, sagte Nicole.
»Das bedeutet auch, daß wir früh zu Bett müssen, meine Liebe.«
»Wir?« fragte das Mädchen gespielt schnippisch.
»Ja, wir. Sehr früh. Und ich freue mich darauf.«
»Ich auch«, gab Nicole zurück und schmiegte sich an ihn. »Obwohl ich einmal länger bei dir sein möchte. Immer kommt etwas dazwischen. Immer müssen wir ausgeschlafen sein, Zamorra. Immer startbereit. Immer in den Startlöchern nach irgendwohin.«
»Beruf«, sagte Zamorra.
Und Nicole darauf: »Immerhin werde ich entschädigt.«
»Entschädigt? Wofür?« wollte der Professor wissen.
»Für die kleinen, kurzen Nächte, die du bei mir bist.«
»Aha. Und wodurch?«
»Durch dich selbst. Schließlich kommen immer vier Männer gleichzeitig, wenn du zu mir kommst.«
»Interessant, Cherie. Die mußt du mir aufzählen, bitte.«
»Sehr gern, Monsieur Cheri. Da ist also erstens ein Professor.«
»Hm«, machte Zamorra.
»Dann mein Herr und Gebieter.«
»Stimmt. Und der dritte Herr?«
»Ist mein Liebhaber.«
»Akzeptiert. Bleibt der vierte der Glücklichen.«
»Das ist mein Geliebter«, hauchte Nicole ihm ins Ohr.
»Dann mach dich gefaßt«, sagte er. »Ich bin sicher, daß alle vier dir heute einen zärtlichen Besuch abstatten werden.«
»Einen viel zu kurzen, Zamorra. Weil wir so früh weg müssen. Ich lasse die vier nur ein, wenn sie mir ein Versprechen geben.«
»Und das wäre?« fragte er neugierig.
»Sie müssen schwören, daß ich einmal eine ganze Nacht haben darf. Eine ganze, lange, himmlische, zärtliche Nacht. Zärtlich und wild, wenn du magst.«
»Das mögen sie alle vier«, sagte Zamorra. »Ich brauche sie nicht erst danach zu fragen.«
***
Baia-Mare ist die Hauptstadt von Maramuresch, der nördlichsten Provinz in den Ostkarpaten. Schon vor Jahrhunderten war sie als Bergbaustadt bekannt. Der prächtige Stephansdom, der noch heute zu bewundern ist, stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert.
Aber das Land hat mehr kriegerische als friedliche Zeiten gesehen.
Von Ost und West ist es mit Kriegen überzogen worden. Die Hunnen überzogen es mit Krieg wie die Ungarn, die Griechen wie die Österreicher, die Deutschen wie die Russen und Türken.
Die Zeit hat aus den ehemaligen Feinden oft Freunde gemacht. So kommt es, daß die verschiedensten Stämme und Religionen heute friedlich beisammen wohnen.
Hauptbestandteil der Bevölkerung sind natürlich die Rumänen.
Aber es wohnen noch heute zahlreiche Ungarn und Deutsche hier, die sogenannten »Siebenbürger Sachsen«, die aber allesamt nicht aus Sachsen, sondern meist aus Hessen, Franken und der Pfalz stammen. Auch Armenier findet man in Rumänien, und ebenso geduldet sind die Juden und die Zigeuner.
Roslan Baraya war einer der Armenier, die vor zweihundert Jahren eingewandert sind.
Sein Nachkomme trug denselben Namen. Roslan Baraya. Von Beruf Gold- und Kupferschmied. Ein verhältnismäßig reicher junger Mann, der in Baia-Mare ein gutgehendes Geschäft unterhielt. Sein Fleiß und seine Freundlichkeit haben wie sein Mutterwitz dazu beigetragen, sich zahlreiche Kunden zu schaffen. Und unter diesen Kunden manch einen, der sich stolz seinen Freund nannte.
Das Herz des jungen Mannes gehörte seit langem der Rumänin Marja Bendic, einer zierlichen und hübschen Lehrerin an der Stephans-Schule der Stadt.
An diesem Abend waren sie ungewöhnlich
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