009 - Der Engel von Inveraray
Mr. Ingram zu überreden, sich nachsichtig über dich zu äußern."
„Ich denke nicht, dass er bereit ist, irgendetwas Gutes über mich zu sagen", stellte Charlotte nüchtern fest.
„Nachdem er ein wenig Zeit gehabt hat, um sich zu beruhigen und etwas Abstand zu gewinnen, betrachtet er die Dinge vielleicht in einem anderen Licht", meinte Genevieve, obwohl sie davon selbst nicht überzeugt war.
Charlotte entspannte sich ein wenig. „Sind alle anderen zu Hause wohlauf?"
„Ja. Natürlich machten sie sich alle entsetzliche Sorgen, als sie erkannten, was dir zugestoßen war. Den armen Jack hat es besonders mitgenommen. Er wollte herkommen und Governor Thomson anbieten, sich an deiner Stelle einsperren zu lassen. Oliver musste ihn förmlich an den Ofen ketten, um ihn daran zu hindern."
„Oh, du darfst nicht zulassen, dass er das tut, Genevieve." Charlotte schaute sie mit flehendem Blick an. „Ich weiß, dass Jack glaubt, er könne das Gefängnis besser ertragen als ich, doch er läuft viel eher Gefahr, den Wärter oder den Direktor zu verärgern, und dann peitschen sie ihn vielleicht aus. Mir werden sie so etwas nicht antun, weil ich ein Mädchen bin."
Genevieve sah Charlotte erstaunt an. Wann hatte sich dieses zarte Band selbstloser Freundschaft zwischen Jack und ihr entwickelt? Und warum hatte sie nichts davon bemerkt?
„Ich werde es ihm nicht erlauben", versicherte Genevieve, verwundert darüber, dass diese beiden misshandelten Kinder derart fürsorgliche Gefühle füreinander empfanden. „Ich habe ihm klargemacht, dass Constable Drummond ihn vermutlich ebenfalls verhaften würde, und dann müsste ich mich um euch beide sorgen."
„Ich bereue, was ich getan habe, Genevieve. Doch Simon hat gehört, wie du gesagt hast, die Bank wolle uns unser Haus wegnehmen und man würde uns alle fortschicken. Das wollte keiner von uns. Wir glaubten, wenn wir genügend Geld auftreiben könnten, um die Bank auszuzahlen, bräuchtest du dir keine Sorgen mehr zu machen."
„Ich will nicht, dass du dir darüber Gedanken machst, Charlotte. Ich werde einen Weg finden, der Bank ihr Geld zurückzuzahlen, und niemand wird mir dich oder eins deiner Geschwister fortnehmen. Hast du das verstanden?"
Charlotte nickte.
„Gut. Und nun möchte ich, dass du dich hinlegst und versuchst zu schlafen."
Sie half Charlotte, die Beine auf die harte Pritsche zu heben, und breitete dann die dünnen Decken über den zarten Körper des Kindes. Dann nahm sie noch einmal Platz, bettete Charlottes Kopf in ihren Schoß, strich dem Mädchen zärtlich über die Wange und begann mit leiser, einlullender Stimme zu singen.
„Sing für mich", bat Margaret, die sie aus ihrem Winkel heraus beobachtete. „Sing, sing, sing!"
„Wenn ich für dich singen soll, musst du dich ruhig auf dein Bett legen und mir versprechen, nicht laut zu schreien oder Charlotte zu ängstigen", erwiderte Genevieve. „Kannst du das tun?"
Margaret kroch gehorsam in ihr Bett und schloss die Augen.
„Sing, sing, sing", flehte sie leise.
Genevieve fuhr fort, Charlottes zarte Wange zu streicheln, begann erneut zu singen und hörte erst auf, als die Kerze heruntergebrannt und beide Gefangene in den Schlaf, diesen flüchtigen Ort der Zuflucht, gesunken waren.
Rastlos wie eine gefangene Raubkatze lief Haydon im Salon auf und ab.
Er hätte Genevieve niemals gestatten dürfen, allein zum Gefängnis zu gehen! Es wäre gefährlich gewesen, sie zu
begleiten, gewiss, doch das Risiko, erkannt und zurück in die Zelle geworfen zu werden, wäre wesentlich leichter zu ertragen gewesen als dieses verfluchte, endlose Warten. Sie war bereits seit Stunden fort, die Straßen waren stockfinster, und er musste all seine Willenskraft aufbieten, um nicht hinauszurennen und sie zu suchen.
Dass sie nicht sofort mit Charlotte zurückgekehrt war, konnte nur bedeuten, dass dieser verfluchte Drummond - oder wer immer für Charlottes Verhaftung verantwortlich war - sich geweigert hatte, das verängstigte Mädchen herauszurücken. Genevieve musste zutiefst entsetzt darüber sein, dass eines ihrer Kinder in diesem stinkenden Kerker gefangen gehalten wurde. Vermutlich hatte sie beschlossen, bei Charlotte zu bleiben und zu versuchen, das arme Kind zu trösten.
Vielleicht beabsichtigte sie sogar, die ganze Nacht über dort zu bleiben - oder bis Governor Thomson sie gewaltsam aus Charlottes Zelle entfernen lassen würde. Das sähe Genevieve ähnlich!
Hätte er Emmaline gegenüber nur dieselbe unbeugsame
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