Was will man mehr (German Edition)
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Ein Abenteuer mit Betty Crowley
Gott ist ein Witzbold. Ich glaube, er hat Sachen wie Sex oder Reisebusse nur erfunden, um uns in komische Situationen zu bringen. Vielleicht leben wir überhaupt nur deshalb, weil Gott sonst sterbenslangweilig wäre.
Mein Sitznachbar, ein anglikanischer Priester namens Brian Mulligan, findet die Theorie theologisch nicht unproblematisch, betrachtet sie aber als eine gute Erklärung für den Schlamassel, in dem wir gerade stecken. Es ist mitten in der Nacht, und seit Stunden sucht unser Busfahrer den Hafen von Calais. Dabei hat er bislang nicht einmal die Stadt selbst gefunden. Im Moment befinden wir uns in einem winzigen französischen Dorf irgendwo im Landesinneren. Genauer gesagt in der winzigsten Gasse dieses winzigen französischen Dorfes. Wir haben uns nämlich zum wiederholten Male festgefahren. Willi, der Mann am Steuer, versichert per Mikrophon, dass er und sein Kollege Bertram die Situation im Griff haben. Bertram steht draußen im strömenden Regen und fuchtelt wild mit den Armen, um den Reisebus aus der Gasse zu dirigieren. Das stetig lauter werdende Geräusch von schabenden Metallteilen lässt vermuten, dass dieses Manöver in die Hose gehen wird. Ich glaube, eine Straßenlaterne hat sich in die Flanke des Busses gebohrt. Für das ohnehin hochbetagte Fahrzeug dürfte das der Todesstoß sein. Willi ist offenbar anderer Meinung. Er gibt unbeirrt weiter Gas, wodurch sich zu dem Kreischen der Metalle noch ein Knirschen und Knacken gesellen, die an ein Schiff in höchster Seenot erinnern. Im Grunde klingt es, als würde der Bus jeden Moment in seine Einzelteile zerfallen.
«Hallo, hier ist nochmal der Willi», tönt es aus den Lautsprechern. «Wir machen jetzt ein bisschen Musik, und in Kürze geht unsere …»
Die Durchsage wird von einem explosionsartigen Knall unterbrochen, im gleichen Moment verdunkelt sich ein Teil der Straße. Im Rauschen des Regens hört man Glas auf dem Asphalt zersplittern. Unweit des Busses gehen in einigen Häusern die Lichter an.
«Gib Gummi, Willi! Sonst haben die uns gleich am Wickel!», hört man Bertram von draußen rufen.
Die Vorstellung, Willi und Bertram könnten von aufgebrachten Franzosen geteert und gefedert werden, finde ich ganz reizvoll. Ich befürchte nur, dass wir anderen auch nicht ungeschoren davonkommen würden.
Willi tritt noch energischer aufs Gas. Der Motor röhrt wie ein Hirsch mit Bandscheibenproblemen, und das metallische Schaben wird für quälend lange Sekunden ohrenbetäubend laut. In der Straße gehen nun immer mehr Lichter an. Vereinzelt kommen Anwohner aus ihren Häusern. Die meisten haben Hunde, einige sogar Gewehre dabei. Kurz bevor sie unseren Bus erreichen, was wahrscheinlich der Beginn einer Gewaltorgie wäre, geschieht jedoch ein kleines Wunder. Mit einem lauten Ächzen, das an den Stapellauf eines Ozeanriesen erinnert, schiebt sich unser Bus an der völlig demolierten Straßenlaterne vorbei. Ein Ruck geht durch das Fahrzeug, die Reifen quietschen, und dann nehmen wir auch schon Fahrt auf. Für ein paar Sekunden erwarte ich, Schüsse zu hören, weil die Einheimischen uns an der Flucht zu hindern versuchen. Aber nichts dergleichen geschieht. Wenige Minuten nach unserer wundersamen Befreiung lassen wir das Dorf hinter uns und rollen durch die dunkle und regnerische Nacht in Richtung Meer – oder in welche Richtung auch immer.
Reverend Mulligan beugt sich zu seiner Kühltasche hinab, öffnet noch zwei Dosen Bier und stellt eine davon auf mein winziges Klapptischchen.
«Danke, ich hab noch.»
«Trinken Sie! Das wird Ihnen helfen, ein bisschen Schlaf zu finden. Es ist noch eine Ewigkeit bis London. Falls die beiden Idioten es überhaupt schaffen, uns mit diesem Schrotthaufen bis zur Fähre zu bringen.»
Da ist was dran. Wir trinken.
«Wo waren wir eben?», fragt Mulligan und lehnt sich in seinem Sitz zurück.
«Ich habe Sie gefragt, warum Sie Priester geworden sind.»
«Ach ja, genau. Das war so: Als junger Mann wollte ich ein Mädchen aus dem Nachbardorf ins Bett kriegen …»
«Fangen eigentlich viele Priesterbiographien so an?», unterbreche ich kurz.
Mulligan nickt ernst. «Die meisten. Oft geht es aber eher um Jungs aus dem Nachbardorf. In meinem Fall handelte es sich jedenfalls um Betty Crowley. Süße siebzehn, blond, sommersprossig und ein bisschen naseweis. Sie sang im Kirchenchor, und sie schwärmte für den Reverend. Also habe ich ihr gesagt, dass ich ebenfalls
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