009 - Der Engel von Inveraray
Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Schottischen Aufsichtsbehörde für Haftanstalten geführt wird!"
„Dann haben Sie gewiss nichts dagegen einzuwenden, wenn die Presse die Zustände hier noch heute Nachmittag in Augenschein nimmt und bei der Gelegenheit auch Ihre Rechnungsbücher einer gründlichen Prüfung unterzieht." Haydon ergriff ein kunstvoll gearbeitetes silbernes Tranchiermesser und betrachtete es eingehend.
„Ich vermute, die Bürger von Inveraray hätten großes Interesse daran zu erfahren, wie viel Sie verdienen, Governor. Sie würden sich gewiss fragen, wie Sie sich derart kostbaren Hausrat leisten können. Ich weiß, dass meine Gattin einige erhellende Einzelheiten über diese Angelegenheit berichten kann, und falls Charlotte heute Abend nicht wohlbehalten zu Hause ist, werde ich mich gezwungen sehen, diese Einzelheiten auch Richter Trotter und der Gefängnisbehörde mitzuteilen."
Governor Thomson wurde kreidebleich. „Erlauben Sie mir, rasch meinen Mantel zu holen. Es wird mir ein Vergnügen sein, Richter Trotter meine Ansichten im Hinblick auf Ihre Tochter darzulegen, Mr. Blake. Das Gefängnis hat bereits Mühe, die schon länger inhaftierten Insassen zu versorgen, und ist gewiss kein geeigneter Ort für eine zarte junge Dame von schwacher Gesundheit." Er legte seine Leinenserviette neben den Teller mit den Bücklingen und erhob sich.
Haydon nickte zufrieden.
Genevieve ließ die Feder sinken und drückte die Handballen gegen ihre heißen, schmerzenden Lider.
Mit Weinen ist nichts gewonnen, rief sie sich grimmig in Erinnerung. Im Gegenteil, sie konnte alles verlieren, wenn sie tatenlos herumsaß und sich in ihrem Kummer suhlte. Also trocknete sie ihre Tränen zum hundertsten Mal mit ihrem feuchten Taschentuch und tunkte den Federkiel in das Tintenfass, fest entschlossen, diesen letzten Brief an Königin Victoria zu beenden, in dem sie als Frau und Mutter Gnade für Charlotte erflehte. Sie hatte bereits ein leidenschaftliches Bittschreiben an Richter Trotter und Viscount Palmerston, den Premierminister, verfasst. Ihr war bewusst, dass Ihre Majestät den Brief vermutlich gar nicht lesen würde, doch sie beabsichtigte dennoch, ihr täglich zu schreiben.
Irgendwann würde einer ihrer Minister oder Sekretäre gezwungen sein, ihr von dem Fall zu berichten. Gewiss wäre jede Mutter entsetzt, wenn sie erführe, dass ein Kind für das verhältnismäßig harmlose Vergehen des Diebstahls eine so grausame Strafe verbüßen musste. Oder vertrat die Königin die Ansicht, Kinder aus der Unterschicht, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, seien der Grund für alles Übel in der Welt und gehörten am besten in finstere Kerker gesperrt, damit der Rest der Gesellschaft ungestört seinen Geschäften nachgehen konnte?
Die verräterischen Tränen rannen unaufhaltsam aus ihren Augen, bis ihr verzweifelter Brief sich unter feuchten Flecken aus salziger Tinte aufzulösen begann.
Jemand klopfte an der Tür.
„Gehen Sie bitte", brachte Genevieve hervor und gab sich größte Mühe, nicht zu klingen, als stünde sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ihre Kinder waren darauf angewiesen, dass sie stark war und sich unter Kontrolle hatte. Sie konnte nicht zulassen, dass jemand etwas von ihrer augenblicklichen Verfassung mitbekam.
„Ich muss mit Ihnen reden, Genevieve." Haydons Tonfall war ernst und eindringlich.
„Es ist sehr wichtig."
Genevieve schluckte und tupfte sich die Augen mit ihrem zerknitterten Taschentuch trocken. Sie wollte Haydon nicht sehen. Sie wollte niemanden sehen. Warum begriffen sie das nicht? Ihr Herz war gebrochen und nichts, was irgendjemand sagte oder tat, konnte sie trösten und den entsetzlichen Schmerz lindern, der sie quälte.
„Gehen Sie bitte", wiederholte sie.
„Ich fürchte, das kann ich nicht, Genevieve. Öffnen Sie die Tür."
„Ich fühle mich nicht wohl", erwiderte sie. „Lassen Sie mich bitte allein."
Einen Augenblick lang herrschte Stille.
Dann wurde die Tür langsam geöffnet.
Genevieve wandte sich von ihrem Schreibpult ab, bereit, sich in wütender Verzweiflung auf ihn zu stürzen und ihn ob seiner Dreistigkeit zur Rede zu stellen.
War es etwa zu viel verlangt, sie in Ruhe zu lassen? Doch dann bemerkte sie Charlotte. Ihr geliebtes Antlitz war von einem scheuen Lächeln erhellt, als sei sie nicht ganz sicher, ob Genevieve sich freuen würde, sie zu sehen.
Ein Schrei zerriss die Stille, ein Schrei, in dem sich pure Freude mit Schmerz
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