009 - Der Folterknecht
Hintergrund sah ich eine überdachte Loge, in der die kirchlichen Würdenträger, der Bürgermeister, die Honoratioren und Adeligen Platz genommen hatten. In ihrer Mitte befand sich ein Mann mittleren Alters, mit einem scharfgeschnittenen Gesicht und einer Geiernase. Seine durchdringenden Blicke wanderten über den Marktplatz. Man hatte unwillkürlich das Gefühl, daß diesen Augen nichts entging, daß ihr Blick bis in die tiefste Seele eines Menschen dringen und jeden Dämon entlarven konnte. Das mußte Jakob Sprenger sein.
Ein unbeschreibliches Gejohle erscholl, als der Wagen mit den beiden abgeurteilten Hexen von einem Ochsen auf den Marktplatz gezogen wurde. Ich hatte bisher noch nie einem Hexenprozeß oder einer Hinrichtung beigewohnt, weil ich so etwas abscheulich fand, doch nach meinem Erlebnis auf dem Eulenberg hatte ich meine Ansicht geändert. Ich konnte es kaum noch erwarten, die Hexen brennen zu sehen.
Fäuste reckten sich den beiden verschmutzten Weibern auf dem Karren entgegen. Die Menge bespuckte sie, warf mit Steinen nach ihnen. Die eine Hexe begann in höchsten Tönen zu schreien, als die Henkersknechte sie vom Wagen holten und mit ihrer Kumpanin an den Brandpfahl banden. Sie schrie auch während der Urteilsverlesung ohne Unterlaß weiter, die andere flehte den Heiland um Gnade an. Aber dieser konnte ihr keine Gnade erweisen, denn aus dem Urteil ging klar hervor, daß sie ein umfassendes Geständnis abgelegt und bekannt hatte – aus Neid und Habsucht, und weil der Teufel es ihr befohlen hatte –, drei Kühe einer anderen Bäuerin vergiftet zu haben; acht weitere starben durch eine Seuche, die sie mit ihren Hexenkünsten heraufbeschworen hatte. Die andere Hexe, die wie von Sinnen schrie, war von ihrem Mann angezeigt worden, der beobachtet hatte, daß sie nachts ausgefahren und mit teuflischem Geheul zum Blocksberg geflogen war, um beim Hexensabbat Unzucht zu treiben.
Es verging viel Zeit, ehe der Henker die Holzscheite anzünden konnte. Als die Flammen über den beiden Hexen zusammenschlugen, verstummten sie endlich. Der Henker stach jeder mit einer Lanze ins Herz. Es rann kein Blut aus ihren Wunden. Der Großinquisitor Jakob Sprenger forderte, daß das Feuer so lange brennen mußte, bis von den beiden Hexen nichts weiter als Asche übrig war.
Solange wartete ich aber nicht. Ich wollte zum Dominikanerkloster, das auf einer Insel im Bodensee lag, und bei einem der beiden Inquisitoren um eine Audienz bitten. Aber ich erlebte eine Enttäuschung. Ich wurde nicht einmal in das Kloster eingelassen, durfte aber einen Brief hinterlassen, den ich schon auf meinem Schloß verfaßt hatte und der an die beiden Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Institoris adressiert war. Man versprach mir, daß ich bald Bescheid erhalten würde, und vermerkte auf dem Briefumschlag, daß ich im Gasthof Zum heiligen khindlein abgestiegen war.
Es dauerte volle sieben Tage, bis ich von den beiden Dominikanern hörte, aber in der Zwischenzeit war ich nicht müßig.
Als ich die Frau des Wirtes in ihrem Zimmer aufsuchte, stellte ich an ihrem Hals zwei kleine Male fest, die leicht von Vampirzähnen herrühren konnten. Ich sprach meinen Verdacht jedoch nicht aus, sondern beschloß, die Wirtin zu beobachten.
Meinem Diener Eustache trug ich auf, sich umzuhören und alle Erzählungen über mysteriöse Vorgänge aufzuschreiben, sich auch alle Namen verdächtiger Personen zu notieren. Für jeden Namen versprach ich ihm eine Prämie, um seinen Eifer anzuspornen. Auch steckte ich ihm noch ein fürstliches Taschengeld zu, damit er nicht zu knausern brauchte und die Leute freihalten und ihre Zungen mit Alkohol lockern konnte.
An diesem Abend, es war der 25. Januar, machte mir der Wirt ein Geständnis. Er druckste lange herum, bevor er mit der Sprache herausrückte und mir mit größtem Bedauern bekannte, daß meine beiden Rösser allem Anschein nach erkrankt seien. Daß sein Knecht schuld sein sollte, davon wollte er jedoch nichts hören. Equinus, so hieß der verwachsene Knecht, behauptete der Wirt, sei der beste Pferdekenner diesseits des Bodensees, und er hätte schon heute morgen, als er ungebeten in die Gaststube kam, den Verdacht geäußert, daß mit meinen beiden Rössern irgend etwas nicht stimmen würde.
Als er mich zum Stall hinausführte, sagte ich: »Ich habe die Witwe Mengerdorf heute beim Abendbrot vermißt.«
»Ich habe selbst keine Ahnung, warum sie nicht gekommen ist, Euer Gnaden. Sonst erschien sie immer
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