009 - Der Folterknecht
Tag, daß ihr Gemahl verreist sei. Die Wirtin hatte uns damals alle belogen. Sie sah kränklich aus und hatte ganz verweinte Augen, und des Nachts hörte ich sie schluchzen. Als ich tags darauf zufällig an ihrem Schlafgemach vorbeikam, stand die Tür offen. Ich wollte sie schließen. Und da sah ich ihn im Bett liegen, den Wirt. Ich glaubte, er wäre tot, denn genauso sah er aus, und als ich – ich weiß heute nicht mehr, warum ich das tat – ins Zimmer ging und ihn berührte, war er ganz kalt. Er fühlte sich so an, als lebte er nicht mehr. Ich wollte weit fort von hier, war aber wie gelähmt. Als dann am nächsten Tag der Wirt wieder in der Gaststube erschien, überkam mich grenzenlose Erleichterung. Ich sprach zu niemandem über dieses Erlebnis, nicht einmal zu meinem Beichtvater, denn ich fürchtete, daß man mich mit Schimpf und Schande von hier fortjagen würde. Es schien ja alles wieder in Ordnung, und ich glaubte, die Wirtin hätte die Krankheit ihres Gemahls nur verschwiegen, um nicht in den Verruf zu kommen, die Pest sei in ihrem Haus. Doch nun hat die Wirtin dieselbe Krankheit befallen, und sie ist nicht wieder erwacht. Man hat sie begraben. Ich fürchte mich davor, Herr Baron, daß sie das Grab verlassen könnte und hierher …«
Ihre Stimme erstickte in einem Schluchzen. Sie zitterte vor Angst und Kälte, und ich nahm sie mit in mein Bett, um sie zu wärmen, war aber nicht in der Verfassung, irgend etwas mit ihr anzustellen. Ich würde lange noch keine Frau haben können, nicht eher, bis meine Schuld getilgt war.
Als Brunhilde schon längst schlief, dachte ich noch über ihre Worte nach. Sie hatte Angst, die Wirtin könnte aus ihrem Grab auferstehen. Die Befürchtungen des Mädchens waren berechtigt, das wußte ich, denn ich hatte die beiden Male an der Kehle der Wirtin gesehen und wußte, daß sie vom Biß eines Vampirs herrührten. Sie war daran nicht wirklich gestorben, sondern nur untot und würde als blutsaugender Vampir aus dem Grab auferstehen und die Bevölkerung von Konstanz heimsuchen. Dasselbe war dem Wirt schon vor einem halben Jahr widerfahren, nur war es ihm dank seiner Frau damals erspart geblieben, in einem Grab verscharrt zu werden, so daß er unerkannt und in der Maske des Biedermannes sein Unwesen unter den Lebenden treiben konnte.
Am nächsten Tag brachte ich Brunhilde in einer Herberge unter. Hans Stiecher hatte die Trauer, die er nur zum Schein gespielt hatte, abgelegt und den Gasthof wieder geöffnet. Die Tage vergingen ohne Besonderheiten. Ich suchte Brunhilde gelegentlich in ihrer neuen Bleibe auf und bereitete sie darauf vor, daß sie womöglich vor der Inquisition aussagen müßte.
Eustache, dem sein neuer Lebensstil zu behagen schien, verschaffte mir neues Material über verdächtige Personen und eine Vielzahl von Beweisen ihrer Schuld. Sieben Tage nachdem ich im Dominikanerkloster vorgesprochen hatte, bestellten mich die beiden Großinquisitoren Jakob Sprenger und Heinrich Institoris zu sich. Es war ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben, davon war ich überzeugt.
Im ersten Moment erschrak ich darüber, daß mich die beiden Großinquisitoren im Gerichtssaal empfingen, in dem sonst nur die Angeklagten aus den Hexenprozessen abgeurteilt wurden. Doch dann sah ich, daß sie allein waren, und gewann schnell meine Fassung zurück. Sie hatten zu dieser Aussprache nicht einmal einen Protokollführer hinzugezogen.
Jakob Sprenger kannte ich ja bereits von der Hinrichtung. Heinrich Institoris bekam ich dagegen zum erstenmal zu Gesicht. Er hatte den gleichen stechenden Blick wie Sprenger, doch besaß er ein etwas breiteres Gesicht und einen fülligeren Körper. Er wirkte auch besonnener, weniger fanatisch und war die ganze Zeit über zurückhaltender als Jakob Sprenger. Seine Zurückhaltung mochte daher rühren, daß er für Oberdeutschland zuständig und dies hier nicht sein Wirkungsbereich war.
»Baron Nicolas de Conde«, sagte Jakob Sprenger und hielt das Schreiben hoch, das ich an die beiden Inquisitoren gerichtet hatte. »Wir haben Ihren Brief gelesen und waren von seinem Inhalt so sehr beeindruckt, daß wir uns entschlossen haben, Sie anzuhören. Wenn wir darüber einige Tage verstreichen ließen, so müssen Sie das verstehen. Seit uns Seine Heiligkeit in dieses Amt berufen hat, bekamen wir viele ähnliche Hinweise, aber ich muß gestehen, daß nur wenige diese Aussagekraft besaßen. Und wir schenken Ihnen schon deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit, weil Sie
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