0092 - Das Testament des Detektivs
auf den elektrischen Stuhl geschickt zu haben. »Die Opfer, die Candlers Ausbruch fordern wird, klagen euch an und sollen euch den Schlaf rauben«, hieß es in einer linksgerichteten Zeitung.
Dabei waren dem Journalisten, als er diesen Artikel schrieb, die näheren Umstände der Flucht, und der Tod der drei Polizisten noch nicht einmal bekannt. Dann wurde die Aufsicht in den Gefängnissen heftig kritisiert. »Candler soll sich, wie es im Bericht der Gefängnisleitung heißt, seit Jahren mustergültig und vorbildlich betragen haben«, schrieb ein anderes Blatt. »Damit hat er sich nur die Möglichkeit zur Flucht verschafft. Man vertraute ihm zuviel. Gerade die Gefangenen, die sich in den Anstalten zu bessern scheinen, sind mit besonderem Mißtrauen zu beobachten.«
»Mr. High, ich glaube, Sie werden uns besser informieren über das Vorleben Candlers als diese halb erlogenen, halb zusammengestohlenen Berichte.« Ich konnte meinen Unmut der Zeitung gegenüber nicht verhehlen. Jeder glaubt, was er schwarz auf weiß gedruckt liest, sei nichts als die reine Wahrheit. Ich hatte oft genug erlebt, wie weit von der Wahrheit sich ein Zeitungsschreiber gewissenlos entfernt, wenn er nur daran verdient, um noch an das zu glauben, was ich gedruckt sehe. Jawohl, das ist bitter, vor allem für die, die wirklich nur die Wahrheit schreiben, und denen gegenüber man dann auch mißtrauisch wird.
»Das ist eine längere Geschichte, über die ihr alle Einzelheiten hier in dem Akt findet. Ich will nur das Wichtigste davon herausgreifen.«
Mr. High blätterte in der Akte.
»Der Henker war lange Zeit ein Name, vom dem man nicht wußte, ob er einer Person oder einem Phantom gehörte. Das ist etliche Jahre her. Phil wird sich vielleicht noch daran erinnern, und der alte Nelville kann euch sicher tausendundeine Geschichte aus diesen Tagen erzählen. Eine Gruppe von Gangstern machte vor zehn Jahren Chikago unsicher. Sie war in gleicher Weise grausam gegen ihre Opfer wie gegen ihre eigenen Leute. Wer nicht aufs Wort gehorchte, wurde eines Tages in den Wipfeln eines Baumes gefunden. Damals entstand wohl der Name, ,Der Henker'. Bald verlegte der Gang seine Tätigkeit auch nach New York. Als Visitenkarte fand man einen der bekanntesten und auch in seinen Kreisen gefürchtetsten Gangster an einem Laternenmast baumeln. Es gab selten soviel Unruhe in der Stadt wie in diesen Tagen. Das, worauf es ankam, nämlich die Bande einmal gemeinsam zu erwischen, gelang nie. Schließlich wurden Gerüchte laut, es gäbe den Henker gar nicht, in Wirklichkeit seien es mehrere Gangs die sich den durch den Henker entstandenen Schrecken unter der Bevölkerung und auch in der Unterwelt zu Nutze machten, um erfolgreicher arbeiten zu können. Ganz klar wurde niemand daraus. Ein einst erfolgreicher Privatdetektiv machte sich auf die Suche nach dem Henker. Mr. Sattlebook hatte schon so manch scheinbar unlösbares Rätsel gelöst. Nun, nach einiger Zeit beendete er plötzlich seine Nachforschungen. Es gäbe keinen Henker, erklärte er laut, vielleicht etwas zu laut in den Zeitungen. Seitdem hat man nichts mehr von ihm vernommen. Vielleicht ist er sogar darauf verschwunden, ich weiß es nicht. Kurze Zeit später aber gelang der Polizei ein großer Coup: überraschend drangen Beamte in eine Wohnung ein, in der sechs Gangsterbosse sich zusammengefunden hatten. Es passierte…«
Das Telefon schrillte und unterbrach Mr. High.
»Einen Augenblick«, entschuldigte er sich, und nahm den Hörer ab.
Wir spürten, wie er gespannt dem Bericht lauschte, der ihm überbracht wurde. Mit finsterem Gesicht legte er schließlich wieder auf.
»Der Polizeiwagen, in dem Candler geflohen ist, wurde völlig ausgebrannt gefunden. Zehn Kilometer vor Buffalo. Soweit bisher festgestellt wurde, war der Wagen leer. Candler ist also nicht mitverbrannt. Aber man hat seine Sträflingskleider gefunden. Ebenfalls auf der Straße, einige Kilometer vor Buffalo.«
»Merkwürdig«, sagte ich, »erst werden uns die toten Polizisten so präsentiert, daß wir sie finden müssen, nun legen sie noch die Kleider auf die Straße wie ein Wegweiser.«
Mr. High nickte.
»Was meint ihr, soll ich euch nach Buffalo schicken?«
»Da keine anderen Spuren vorhanden sind, müssen wir wohl nach Buffalo«, erwiderte Phil und sah mich an. Ich nickte ihm lächelnd zu.
»Gut«, entschied Mr. High, »dann nehmt ihr den nächsten Zug und seht euch an Ort und Stelle um.«
»Ich würde doch lieber mit meinem Wagen fahren«,
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