01 - Botschaft aus Stein
ein lautloser Schemen. Der Tritt musste ihn ziemlich schmerzhaft in den Leib getroffen haben, für einen Moment stand er jedenfalls halb gekrümmt da, doch bis Tom federnd aus der Hocke in die Höhe kam, griff er schon wieder an.
Tom wich zur Seite, aber genau das wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Blitzschnell wechselte der Angreifer die Klinge in der Hand und stach schräg aus der Höhe herab zu. Tom schaffte es gerade noch, mit dem rechten Unterarm den Hieb abzublocken, den Gegner bekam er aber nicht zu fassen.
»Was willst du von mir?«
Keine Antwort. Ericson konnte nicht einmal abschätzen, ob der andere ihn überhaupt verstand.
Erst jetzt erkannte er, dass der Angreifer eine Kopfbedeckung trug. Sie erschien ihm wie der Schädel einer Großkatze…
Wieder stieß die Klinge von oben herab zu. Tom gewann den Eindruck eines Opferdolchs, als er mit beiden Händen zupackte und das Handgelenk des Angreifers umklammerte. Der Mann hatte auf sein Herz gezielt, und er war unglaublich kräftig. Tom musste zurückweichen, zumal der Gegner mit der gespreizten linken Hand wie mit einer Klaue nach seinem Gesicht schlug. Kein Zweifel, der Kerl würde ihm die Augen auskratzen, sobald er die Möglichkeit dazu erhielt.
Nur noch wenige Zentimeter war die Dolchspitze von Toms Oberkörper entfernt. Das Kräftemessen würde Ericson verlieren. Er versuchte nur noch, auszuweichen. Nicht nach rechts, denn dann hätte ihm der Angreifer ebenso schnell in der Drehung folgen und zustoßen können, sondern nach links. Gleichzeitig versuchte er den Angreifer auszuhebeln, indem er dessen Bewegung nicht länger abblockte, sondern sie abrupt unterstützte. Als der Kerl leicht zur Seite hin einknickte, ließ Tom los und trat ihn mit aller Kraft gegen die Schienbeine.
Der Angreifer stürzte vornüber. Ein kurzes Gurgeln war das erste Geräusch überhaupt, das über seine Lippen kam, dann lag er seltsam verkrümmt da, halb auf den Knien, den rechten Arm unter dem Oberkörper, und langsam kippte er auf die rechte Seite.
Tom wartete darauf, dass der Gegner wieder herumschnellen und mit einer blitzschnellen Bewegung zustechen würde, allein deshalb wich er zwei Schritte zurück. Als nach einer halben Minute aber noch immer nichts geschah und der Angreifer regungslos liegen blieb, stieß er ihn vorsichtig an.
Der Mann kippte langsam zur Seite.
Er war tot, das erkannte Ericson dann sehr schnell. Im Sturz hatte er sich den eigenen Dolch ins Herz gebohrt. Blut rann über die Klinge, über seine Hand und den Arm und sammelte sich schon am Boden.
Genau das hatte Tom nicht gewollt. Viel lieber hätte er den Kerl über den Grund für den Angriff ausgequetscht.
Obwohl ‒ so schwer zu erraten war das nicht.
Der Kopfschmuck des Toten war keineswegs nur ein beliebiger Katzenschädel. Das Fell war längst räudig geworden, einige Zähne im Oberkiefer waren ausgefallen, doch es war eindeutig die Schädeldecke eines Jaguars. Und das Gesicht des Toten, vor allem die markante Nase, ließ auf Mayablut in der Ahnenreihe schließen.
Tom drehte den Mann vollends auf den Rücken. Tief war der Dolch in den Brustkorb eingedrungen. Tom zog die Klinge nicht aus der Wunde; ihm genügte es, den Knauf zu sehen, um zu erkennen, dass es sich tatsächlich um einen Opferdolch handelte.
Als er kurz darauf das Säckchen löste, das der Mann an seinem Gürtel trug, und er den Inhalt betrachtete, wurde ihm vollends klar, dass er einen Wächter der Stele vor sich hatte. In dem Säckchen befand sich eine Toteneule, die der in der Höhle wie ein Zwilling dem anderen glich.
An sich war die Maya-Stele hier in der Südsee bereits eine Sensation. Dass es zudem jemanden gab, der verhindern sollte, dass sie entdeckt wurde, war eigentlich nur noch verrückt. Andererseits erklärte gerade das, warum die Stele, auch wenn das Gelände ringsum sehr unwegsam war, über Jahrhunderte hinweg unentdeckt geblieben war.
Nur kurz dachte Tom daran, mit dem Satellitentelefon die Polizei zu informieren. Die Folge wäre aber gewesen, hier festzusitzen, bis alle Fragen geklärt waren. Und das konnte sehr, sehr lange dauern. Und noch länger, Jahrzehnte nämlich, wenn man ihm die Notwehrsituation nicht glaubte. Also trug er, nicht ohne schlechtes Gewissen, Äste und Laub zusammen und deckte den Toten zu.
Währenddessen dachte er darüber nach, wie er weiter vorgehen und welche Quellen er anzapfen konnte, um dem Geheimnis der Stele auf den Grund zu gehen. Am besten wäre es wohl, sich mit
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