01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
Jahre eine große Rolle und waren Anlaß für allerlei vergnügliche Spiele, denen man sich mit intensivem heimlichem Entzücken widmete. Mein Banknachbar in Mrs. Edwards’ Klasse hieß Timothy. Oft ließen wir hinten unsere Shorts und Unterhosen herunter, so daß wir unterunserem blanken Po die Holzbänke spürten. Für Mrs. Edwards sah vorne von ihrem Platz alles ganz normal aus. Ich empfand dies als wahnsinnig aufregend, sowohl den nackten Hintern als auch die Tatsache, daß niemand etwas merkte. Nicht etwa, daß ich dabei eine Erektion gehabt hätte, zumindest kann ich mich nicht an derartiges erinnern. Manchmal gingen Timothy und ich auch in den Wald, wo wir Rudies spielten. Rudies bestand darin, in einem möglichst hohen Bogen gegen einen Baumstamm zu pinkeln oder dem anderen beim Scheißen zuzusehen. Alles sehr geheimnisvoll. Ich kann nicht behaupten, an dieser Spielart des Sexuellen heute noch irgendeinen Gefallen zu finden, obwohl ich weiß, daß viele erlauchte Persönlichkeiten diese Vorstellung überaus anregend finden. Ständig hört man von Männern, die Prostituierte dafür bezahlen, ihren Darm auf einem Glastisch zu entleeren, unter dem der lechzende Freier liegt und sein Gesicht gegen den Exkrementenschwall preßt. Man mag das für eine typisch britische Spezialität halten, doch lehrt einen ein kurzer Ausflug in die derberen Seiten des Internet, daß die Amerikaner, wie bei allen Absonderlichkeiten, auch hier mit Leichtigkeit die goldene Palme davontragen. Ich habe schon lange nicht mehr unter der Adresse alt.binaries.tasteless nachgeschaut, aber dort draußen existiert fraglos eine gigantische Welt skatologischer Absonderlichkeiten. An zweiter Stelle stehen die Franzosen: Ich nehme an, jeder, der de Sades Die hundertzwanzig Tage von Sodom gelesen hat, wird sich noch gut an die Lektüre und die kühl-distanzierte Beschreibung der Art erinnern, in der der Bischof seinen Kaffee trinkt. Nicht zu vergessen auch jener französische Intellektuelle und Held des Strukturalismus, der sich in Schwulenbars gerne in eine Wanne legte und die übrigen Gäste über sich urinieren ließ. So enttäuschend es auch sein mag, wir Briten sind auf dem Gebiet der sexuellen Bizarrerien ganz gewiß nicht seltsamer als andere auch, wir glauben nur, es zu sein, was der eigentliche Grund für unsere Seltsamkeit ist. Sowie die Liebe zum Geld die Wurzel allen Übels ist, so ist der Glaube an die Verderbtheit die Wurzel allen Elends.
Ich kann mich weiß Gott weder daran erinnern, wo der Wald lag, in dem wir unsere harmlosen Rudies veranstalteten, noch wer Timothy war. Er hieß natürlich auch nicht Timothy, und sollte er dieses Buch in die Hand bekommen, wird er unsere Eskapaden vermutlich längst vergessen haben, während er seiner Frau am Kamin daraus vorliest, wie zur Bestätigung, diesen widerlichen Schmierfink Stephen Fry schon damals richtig eingeschätzt zu haben.
An frühe ›Sex-Spiele‹, wie es in den Büchern von Kinsey und Hite immer heißt, an denen das andere Geschlecht beteiligt gewesen wäre, kann ich mich nicht erinnern. Ein Mädchen gestattete mir einmal einen Blick auf ihren Schlüpfer, und ich weiß noch, daß ich sowohl den Gummizug als auch die Farbe abstoßend fand. Ich glaube nicht, daß ich danach noch mehr sehen oder erfahren wollte. Ein Freund an der Uni antwortete auf die Frage, wann er gewußt habe, daß er schwul sei, er könne sich noch genau erinnern, wie er bei seiner Geburt noch einmal zurückgeblickt und gesagt habe: »Nein danke! In so was verirre ich mich kein zweites Mal ...« Ich benutze diesen Satz seither schamlos als meine eigene Erklärung, wann ich es denn gewußt habe.
Ich fand Mädchen großartig, außer wenn sie mich herumschubsten oder mit vornehm gespitzten Lippen sagten: »Ha! Das sag ich dem Lehrer.«
Abgesehen von meiner stümperhaften Kalligraphie, der leuchtenden Schönheit von Jonathan Cape und den gelegentlichen Rudies mit Timothy liegt meine Zeit als Sechsjähriger heute für mich unter einem undurchdringlichen Nebel. Ich weiß, daß ich mit drei flüssig lesen und mit vier schreiben konnte und daß ich mir nie meinen Stundenplan merken konnte.
Die Straße, in der wir in Chesham wohnten, hieß Stanley Avenue und hätte geradewegs aus einem Betjeman-Gedichtstammen können. An der Stelle von Sherwood House, unserer alten Adresse, befindet sich heute eine Stichstraße mit mehreren Privathäusern. Ich vermute daher, Sherwood House war ein recht stattlicher Bau, auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher