01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
für ein paar Monate zu jung. Erst im Sommer soll ich ihm folgen und bis dahin die anglikanische Grundschule in Cawston, eine Meile von unserem neuen Heim in Booton entfernt, besuchen.
Rektor der Cawston Primary School war John Kett, ein Nachfahr jenes Kett, der Kett’s Rebellion anführte und seine letzten Tage an die Mauern von Norwich Castle geschmiedet verbrachte. Sein Abkömmling im zwanzigsten Jahrhundert ist ein liebenswerter Mensch, der Bücher über den Norfolk-Dialekt schreibt und von allen in der Umgebung geschätzt und geachtet wird. Ob er wie sein rauhbeiniger Vorfahr an die Unabhängigkeit des Ostens glaubt, vermag ich nicht zu sagen, aber sollte der gegenwärtige Trend der Anerkennung alter Erbschaftsfolgen bis in die Zeit der englischen Königtümer zurückgehen, wäre er fraglos der legitime Anwärter auf den Königsthron von Anglia – mit Delia Smith als Gemahlin.
»Ich brauche einen Freiwilligen«, sagte Mrs. Meddlar eines Morgens.
Meine Hand schoß in die Höhe. »Hier, Miss, ich, Miss! Bitte, Miss!«
»Sehr schön, Stephen Fry.« Miss Meddlar nannte mich stets bei meinem vollen Namen. Es gehört zu den unauslöschlichen Erinnerungen an meine Grundschulzeit, immer als Stephen Fry angesprochen zu werden. Ich nehme an, Miss Meddlar betrachtete Vornamen als zu zwanglos und Nachnamen als zu kühl und steif für eine anständige christliche Dorfschule. »Bring das bitte in Mr. Ketts Klasse, Stephen Fry.«
»Das« war ein Blatt mit Prüfungsergebnissen. Rechtschreibung und Addition. Ich hatte mir einen einzigen dummen Fehler in der Rechtschreibung geleistet und »many« mit zwei »n« geschrieben. Alle anderen hatten den gleichen Fehler gemacht, aber zusätzlich auch noch ein »e« eingebaut, so daß Miss Meddlar mir für das richtige »a« zumindest einen halben Punkt gegeben hatte. Als ich das Blatt von ihr überreicht bekam, sah ich, daß ich die Liste mit neunzehneinhalb von zwanzig möglichen Punkten anführte.
Ich lief über den Flur zur Klasse von Mr. Kett. Gerade als ich an die Tür klopfen wollte, ertönte drinnen lautes Gelächter.
Kein Mensch, weder das warzigste Mütterchen in Arles noch der verrunzeltste, gebückteste Kosak oder der ehrwürdigste, pferdeschwänzigste Mandarin in China, ja nicht einmal Methusalem höchstpersönlich wird einem je älter vorkommen als die Schüler höherer Klassen. Es ist das gleiche Gefühl wie beim Betrachten alter viktorianischer Fotos von Sportlerteams. Man mag mittlerweile längst älter sein als die Abgebildeten, sie sind einem stets um eine Welt voraus, haben die dickeren Schnurrbärte und sind weitaus trinkfester. Nie wird man sich so elegant in Positur setzen oder soviel Reife ausstrahlen können wie sie. Nie und nimmer.
Das Lachen in Mr. Ketts Klasse stammte von Neun- und Zehnjährigen, deren Alter ich dennoch nie erreichen werde und mit deren Reife und Klassenvorsprung ich nie werde wetteifern können. Zugleich schien ihr Lachen eine geheime Komplizenschaft mit Mr. Kett auszudrücken, eine Verschworenheit der Älteren, die meine Knie butterweich werden ließ. Ich zog meine Hand im letzten Moment zurück und floh in den Umkleideraum.
Atemlos setzte ich mich auf eine Bank neben den Spinden und starrte trübselig auf Miss Meddlars Papier. Es ging einfach nicht. Ich konnte unmöglich die Klasse der Älteren betreten.
Ich wußte genau, was passieren würde, denn ich hatte die Szene bis ins letzte Detail in meinem Kopf durchgespielt, so daß es mir vorkam, als wäre ich tatsächlich in der Klasse gewesen, wie wenn jemand auf dem Sprungturm plötzlich Schiß bekommt und im Magen das flaue Gefühl eines Sprungs verspürt, der einzig in seinem Kopf stattgefunden hat.
Ich zitterte bei der Vorstellung, wie die Sache laufen würde.
Ich würde an die Tür klopfen.
»Herein«, würde Mr. Kett sagen.
Ich würde die Tür öffnen und mit zitternden Knien und gesenktem Blick vor der Klasse stehen.
»Sieh an. Stephen Fry. Was kann ich für dich tun, junger Mann?«
Die Schüler würden zu lachen beginnen, auf eine herablassende, fast schon gehässige Art. Was hat dieser Knirps, diese Fliege, dieses Nichts hier bei den Großen verloren, wo wir uns gerade mit Mr. Kett auf höchst geistvolle Art über einen ungemein geistreichen Witz amüsieren? Wie der schon aussieht ... total verknitterte Shorts und ... mein Gott ... trägt der etwa SartRite-Sandalen? Heiliger Bimbam ...
Daß mein Name ganz oben auf der Liste stand, würde alles nur noch schlimmer
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