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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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normalen Grundschule verbracht habe und es trotzaller Aufmerksamkeit und Freundlichkeit kaum erwarten konnte, meinem Bruder ins Internat zu folgen.
    Hätten wir in der Londoner City gewohnt, wäre es vermutlich anders gewesen. So aber lebten wir in der geheimnisvollen Abgeschiedenheit von West Anglia, wo das nächste Geschäft zwanzig Fahrradminuten entfernt lag und das Haus des nächsten Freundes noch einige Meilen weiter. In Booton, Norfolk, klingelte nie jemand an der Haustür, um Stephen zum Spielen zu holen; keine coolen Freunde, die Zak, Barnaby oder Luke hießen, keine Parks, kein Kinoclub am Samstagvormittag, keine Eisdielen mit Milkshakes, keine Busse, keine vorbeifahrenden Eiswagen und keine Rollerskate-Bahnen. Wenn Freunde aus der Stadt mein Elternhaus sahen, schwärmten sie voller Neid und Bewunderung über soviel Natur vor der Haustür. Ich meinerseits schwärmte vor Neid, wenn ich in ein Reihenhaus am Stadtrand von London kam und dort Zimmer mit Teppichböden, Zentralheizung und Salons sah, die Wohnzimmer hießen und einen Fernseher hatten.
    Wahr ist auch, daß die nur mühsam verheimlichte Sorge meiner Mutter zum Ende der Schulferien mir ein deutlicheres, klareres Zeugnis uneingeschränkter Liebe gab, als es den meisten Kindern in so frühen Jahren vergönnt ist. Ich kann nicht leugnen, meine Kindheit und anschließend meine Jugend gründlich vermasselt zu haben. Doch ich würde nie zulassen, als Grund dafür ein Gefühl von Betrug, Abgeschobensein oder verweigerter Liebe vorzuschieben.
    Schließlich war und ist mein verehrter Bruder Roger alles andere als eine verkrachte Existenz, obwohl er als erster von zu Hause wegging und sich noch weitaus verlassener hätte vorkommen müssen, da er keinen älteren Bruder hatte, in dessen Fußstapfen er treten konnte. Meine entzückende Schwester Jo blieb daheim, wie es damals für Mädchen üblich war. Sie war als Teenager ebenfalls ziemlich von der Rolle, vermutlich aber gerade weil sie nicht auf ein Internat durfte.Die private Schulerziehung mag eine elitäre Abscheulichkeit darstellen, sie mag auf allerlei ungesunden und seltsamen Wegen verschrobene und lächerliche junge Menschen hervorbringen, sie mag die gesellschaftliche Entwicklung in diesem Land behindert haben, sie mag für alle möglichen Desaster und Verirrungen verantwortlich sein, aber sie hat mir nie das Gefühl vermittelt, mich von der Liebe und Fürsorge meiner Eltern abzuschneiden. Ich glaube mit einiger Sicherheit sagen zu können, meine Jugend wäre um keinen Deut anders verlaufen, hätte man mich auf eine Realschule, eine Gesamtschule oder ein Gymnasium geschickt. Egal ob Internat, Tagesschule oder daheim mit Gouvernanten und Privatlehrern, ich wäre genauso ein Fall für den Papierkorb geworden wie ein unerbetener Werbebrief von ›Reader’s Digest‹. Wo ich auch hingekommen wäre und was immer ich getan hätte, eine Jugend voller Sturm und Drang, Absturz und Schande wäre mir nicht erspart geblieben.
    Aber das ist alles müßige Spekulation. Tatsache ist, daß mein Bruder nach Stouts Hill ging, meine Schwester geboren wurde und unsere Familie nach Norfolk zog.
    Für mich war der Umzug damit verbunden, Chesham Prep verlassen zu müssen, wo ich den Vorschulunterricht besuchte. Chesham liegt genau zwischen der Endstation der Londoner Metropolitan Line und den Chilton Hills, so daß man sich des eigenen Status nie ganz gewiß ist: Lebt man in einem Dorf auf dem Land oder innerhalb der Metroland banlieu ? Chesham Prep bestand aus vier Häusern, wobei Haus kein einzelnes Gebäude, sondern einen administrativen Verwaltungstrakt oder Gau bezeichnet. Mein Haus hieß Christopher Columbus, dessen blaues Abzeichen ich mit großem Stolz an der Brust trug. Viele Jahre wollte ich nicht wirklich glauben, daß Columbus Italiener war. Ganz damit abfinden kann ich mich bis heute nicht. Warum sollte eine Schule im Herzen Englands sich den Namen eines ausländischen Helden zulegen? Vielleicht waren sie sich seiner Herkunft selbstnicht so sicher. Schließlich galt es als ausgemacht, daß alle großen Entdeckungen aus England stammten – Eisenbahn, Demokratie, Fernsehen, Buchdruck, Düsenflugzeuge, Hovercrafts, das Telefon, Penizillin, Toiletten mit Wasserspülung und Australien -, also war es nur vernünftig, Christopher Columbus für einen Engländer zu halten. Die Jungen aus Francis Drake – oder hieß das andere Haus Nelson ... oder auch Walter Raleigh? Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern –

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