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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ich mich nur noch an wenige Einzelheiten erinnere: an den überdachten Eingang aus bemaltem Glas etwa oder die Kabine, in der ein schwarzes Telefon auf einer Schiebekommode stand – auf der Wählscheibe waren neben den Ziffern auch die Buchstaben in Rot eingetragen, so daß man statt einer Vorwahl einfach PUTney 4234 oder CENtral 5656 wählte. Mit Begeisterung trommelte ich auf der schweren Bakelit-Gabel herum und lauschte auf das hohle, klickende Echo in der Leitung. Auch wenn bestimmte Gerüche in uns weit eher Erinnerungen heraufbeschwören als Laute, so wird jeder, der älter als fünfunddreißig ist, sich durch die alten Geräusche beim Wählen und Einhängen genauso umgehend in die Vergangenheit zurückversetzt fühlen wie durch das Klimpern von Half-Crowns oder das Floppen , mit dem früher bei einem Austin die Tanknadel hochschnellte.
    Ich war ganz und gar fasziniert vom Telefon, allerdings nicht in der Art eines weiblichen Teenagers, der stundenlang, auf dem Bauch liegend, die Schenkel zusammengepreßt und die Knöchel in der Luft gekreuzt, an der Strippe hängt, sondern vielmehr gefesselt davon, wie es die Menschen veränderte. Wenn damals die Leitung unterbrochen wurde, trommelte man auf die Gabel und rief: »Vermittlung! Vermittlung!« Ältere Menschen machen das heute noch. Sie wissen nicht, daß es genauso zwecklos ist, wie nach dem Dienstpersonal zu läuten oder nach der Gepäckaufbewahrung zu fragen.
    Sie wissen nicht, daß für unsere Zeit gilt ...
    DA IST NIEMAND MEHR
    Sie wissen nicht, daß die Bibel inzwischen der Telefonansagedienst ist und das Fegefeuer bedeutet, vom heiligen Petrus in eine geschlossene signaltongesteuerte Endlosschleifegeschickt zu werden, um darin zu den Klängen von Vivaldis Frühling in alle Ewigkeit zu schmoren.
    Das simple Wörtchen »Hallo« kam erst als Begrüßungsformel in Umlauf, als die amerikanischen Telefongesellschaften nach einem neuen Wort suchten, mit dem Telefongespräche auf freundliche, unaufdringliche und neutrale Weise eröffnet werden konnten, genau wie die BBC in den dreißiger Jahren eine Debatte darüber anzettelte, wie die Leute vor dem Fernseher zu bezeichnen waren. Das Radio hatte Hörer, sollte man also beim Fernseher von Sehern sprechen? Wie bekannt, einigte man sich schließlich auf Zuschauer. Im Falle des Telefons wollte man die Leute davon abbringen, »Wer da?«, »Grüß Gott« oder auch »Tagchen« zu sagen. »Guten Morgen« und »Guten Tag« klangen zu sehr danach, als wolle man gleich wieder auflegen, und waren in einem Land mit vier verschiedenen Zeitzonen auch wenig praktisch. Vor 1890 brachte man mit »Hallo!« lediglich Überraschung oder Interesse zum Ausdruck, wobei immer ein Unterton von Anmache mitschwang. Um die Jahrhundertwende tauchte »Hallo Girls« dann in unzähligen Liedern und Zeitungsartikeln auf, um alsbald in der Alltagssprache als einschmeichelnd saloppe, unkomplizierte Anredefloskel zu gelten.
    Etwa zur Zeit meines siebten Geburtstags hatte ich damit begonnen, Fakten statt Schmetterlinge, Briefmarken oder Fußballbilder zu sammeln, und mein Lieblingsfakt über das Telefon war ein Ausspruch von Alexander Graham Bell, der kurz nach der Erfindung des Telefons den entzückenden Satz gesagt haben soll: »Ich glaube nicht, die Möglichkeiten dieser Erfindung zu hoch zu veranschlagen, wenn ich Ihnen sage, daß es meiner festen Überzeugung nach dereinst in jeder größeren amerikanischen Stadt ein Telefon geben wird.«
    In jenen Tagen ging mein Vater noch jeden Morgen zur Arbeit aus dem Haus, so daß ich das Telefon mit meiner Mutter und Chesham, seinen Lorbeerhecken und Sträuchern, dem Klappern der Atco-Mäher in der Nachbarschaftund einer Vorstadtidylle assoziiere, an deren Stelle bald darauf in Norfolk gespenstische Dachböden, ländliche Einsamkeit und die permanente Anwesenheit meines Vaters traten. In meiner Erinnerung ist Sherwood House der Ort, an dem William aus Just William lebte, wo Raffles und Bunny auftauchten, um eine neureiche Dame um ihre Perlen zu erleichtern, oder wo Tante Julia aus den Ukridge-Stories von Wodehouse ihre Wimbledon-Festung besaß. Bei Sherlock Holmes sind es das Haus des Baumeisters aus Norwood und die geheimnisvolle Pondicherry Lodge. Offen gesagt fällt es mir sogar leichter, die Erinnerung an Sherwood House wachzurufen, indem ich irgendeins dieser Bücher aufschlage und mich der Flut der Bilder ergebe, als daß ich mich hinsetze und krampfhaft die Vergangenheit heraufzubeschwören

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