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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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dabei immer schwächer werden.«
    »Und wo ist da der Witz?«
    »Nun, Sieger ist der, der die meisten Punkte macht. Wie viele sind wir? Fünfzehn. Also, der erste in der Reihe, der den Zaun anfaßt, bekommt fünfzehn Punkte, der zweite vierzehn und so weiter bis zum letzten, der einen Punkt bekommt. Wer losläßt, scheidet aus.«
    Es dauerte noch eine Weile, bis wir die Regeln soweit ergänzt hatten, daß jeder einmal fünfzehn Punkte gewinnen konnte, indem er ganz vorne stand und die volle Wucht des Stoßes abbekam.
    Obwohl ich nie zu den Tapfersten gehörte, entschied ich aus irgendeinem Grund, als erster die Schlange anzuführen. Donaldson war Nummer zwei und ergriff meine freie Hand. Als die Reihe komplett war, drehte ich mich nach dem Zaun um.
    »Und denkt daran«, sagte ich streng. »Wer losläßt, ist unweigerlich draußen. Und zwar für immer.«
    Ein fünfzehnfaches gravitätisches Nicken. Ich streckte die Hand aus, hielt den Atem an und packte an den Draht.
    Das erste Ticken jagte einen Stromstoß durch meinen Körper, der mich fast von den Beinen riß, aber ich wollte noch den nächsten Schlag abwarten, während ich das Geschrei und Gejohle hinter mir in der Reihe nur vage registrierte.
    Nach dem dritten oder vierten Stoß ließ ich los und drehte mich um.
    Fünfzehn Jungen sprangen schreiend und johlend über die Wiese. Die Schlange hatte gehalten.
    Der letzte Junge, der den schwächsten Stoß erhalten hatte, war kein Geringerer als Bunce, rosig übers ganze Gesicht strahlend, weil er die Nerven behalten und nicht losgelassen hatte.
    Wir spielten noch eine halbe Stunde weiter, und ich bin nicht sicher, ob ich je wieder so glücklich gewesen bin. In jener Situation trafen so viele Hochgefühle zusammen, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte: das Wissen um die Berge vonSüßigkeiten in meinen Taschen, der Stolz über meinen neuentdeckten Wagemut, die Freude darüber, bei einem Spiel nicht nur mitzumachen, sondern gar der Anführer zu sein, und das beglückende Gefühl, daß ich fünfzehn Jungen dazu angestiftet hatte, die Schulregeln zu brechen. Wir saßen alle in einem Boot. Und nicht ich hatte mich ihnen angeschlossen, sondern sie sich mir.
    Bunce hatte unsere erste, flüchtige freundschaftliche Begegnung im Zug nach Paddington nie vergessen. Nicht, daß er sich irgendwie an mich hängte, dazu war er zu stolz. Aber er mochte mich, was immer ich auch anstellte, und er grinste stets, wenn sich unsere Blicke begegneten, oder schaute betrübt, wenn ich gehänselt oder angebrüllt wurde oder sonstwie in Schwierigkeiten war.
    Nachdem jeder einmal erster Mann in der Schlange gewesen war und wir die richtige Anzahl von Stromstößen ermittelt hatten, die für den größten Spaß sorgte, berieten Donaldson und ich über weitere Verfeinerungen der Spielregeln. Er schlug vor, wir sollten uns im Halbkreis um den Zaun aufstellen und der erste und letzte in der Reihe sollten gleichzeitig an den Draht fassen. Ein Junge warf in unheilvollem Ton ein, es würde einen Kurzschluß geben, und die Person in der Mitte, bei der die beiden Stromkreise zusammenkämen, würde zu Asche verbrennen. Vielleicht sollten wir lieber ein Pony holen und es als Versuchskaninchen benutzen. Ein Pony in die Mitte des Halbkreises zu stellen, war eine geniale Idee, und der Gedanke, es in ein knuspriges Häufchen zu verwandeln, erschien Donaldson als der großartigste Vorschlag, der ihm je zu Ohren gekommen war.
    »Einfach genial«, sagte er. »Da drüben ist Cloud. Das ist unser Versuchskaninchen.«
    Cloud war ein betagtes graues Pony mit einer riesigen herabhängenden Wampe. Außerdem war Cloud das erste Pony, auf dem ich geritten hatte, und mir war ganz und gar nichts daran gelegen, es in ein Klümpchen Asche verwandelt zusehen. Von meinen Eltern hatte ich eine Tierliebe geerbt, von der ich zugebe, daß sie menschenähnlich, sentimental und übertrieben ist. Unsere ganze Familie bricht beim Anblick von Bären, Robben und anderen putzigen Säugetieren unversehens in Tränen aus. Nie werde ich den rasenden Wutausbruch vergessen, der mich einige Jahre später überkam, als ich in einem Park von King’s Lynn Jugendliche sah, die Enten mit Steinen bewarfen. Ich griff aus einem Steinhaufen in der Nähe ein paar größere Brocken heraus und schleuderte sie nach den Jungen, während ich sie mit einem Schwall unsinnigster Obszönitäten überschüttete, die einem nur blinde Wut diktieren kann. »Ihr hirnamputierten, arschgesichtigen Scheißwichser ... euch

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