01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
brennendem Hintern zu verlassen. Also, schätze dich glücklich. Und benutze deine Nervenstärke in Zukunft für sinnvolle Dinge.«
Es stimmte, daß meine Begegnungen mit Cromie in seinem Büro immer nur dem einen Zweck gedient hatten, mir kräftig eins überbraten zu lassen. Das letzte Mal für einen Ausflug zum Dorfladen. Drei Schläge, mit der Androhung der doppelten Ration im Wiederholungsfall.
Ich erhob mich und kniff entsetzt meine Augen zusammen, als ich in meinen Hosentaschen das Rascheln von Papiertüten hörte. Dies war der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, an dem mir verbotene Süßigkeiten aus der Tasche plumpsen durften wie Münzen aus einem einarmigen Banditen.
»Schon gut, du brauchst nicht so erschrocken dreinzublikken. Ab mit dir.«
»Vielen herzlichen Dank, Sir, und nochmals Entschuldigung.«
»Geh und sündige nicht mehr, das ist alles, worum ich dich bitte. Geh und sündige in Gottes Namen nicht mehr.«
Eine halbe Stunde später hockte ich unter einer Libanonzeder, stopfte mir einen Schaumzucker-Shrimp nach dem anderen in den Mund und dachte über das Schicksal nach. Vielleicht durfte ich mich in gewisser Weise als tapfer betrachten. Man brauchte Mut, um hinterlistig und verschlagen und falsch und durchtrieben zu sein. Mehr Mut, als stumpf den Regeln zu folgen.
Die Spätsommersonne fiel sanft auf die Wiesen und den See, und in meiner Blazer-Tasche steckten noch jede Menge Fruchtgummis und fliegende Untertassen.
»F-r-r-r-ry!«
Wenn mein Name mit so unheilvollem Grollen gerufen wurde, konnte es sich nur um Pollock handeln, den Oberpräfekten mit dem rabenschwarzen Haar und einem sadistischen Haß auf alles, was mit Fry dem Jüngeren zu tun hatte.
Er trat hinter dem Baum hervor und hatte mir die Tüte aus der Hand gerissen, noch ehe ich wußte, was los war.
»Wir waren also im Dorfladen, wie?«
»Nein!« sagte ich wutschnaubend, »waren wir nicht .«
»Erzähl keine Märchen. Shrimps, Milchfläschchen, fliegende Untertassen und Karamelbonbons. Hältst du mich für blöd?«
»Ganz recht, Pollock. Ich halte dich für saublöd. Ich bin nicht im Dorfladen gewesen.«
Er versetzte mir eine Ohrfeige. »Werd nur nicht frech, Bürschchen. Los, Taschen auspacken.«
Seit meinem Sturz in Chesham Prep reagierte meine Nase äußerst empfindlich auf kleinste Erschütterungen. Schon beim leisesten Schlag schossen mir die Tränen in die Augen. Noch demütigender allerdings war damals für mich die Erkenntnis, daß sie wie echte Tränen aussahen.
»O Gott, hör auf zu flennen und mach die Taschen leer.«
Nichts kann einen Tränenstrom so sehr befeuern wie eine falsche Unterstellung.
»Wie oft soll ich es dir noch sagen«, brüllte ich. »Ich bin nicht im Dorfladen gewesen!«
»Ja, ja, ja. Natürlich nicht. Und was ist das hier?«
Wenn das Bild nicht so absurd anachronistisch wäre, könnte ich schwören, daß Pollock eine der fliegenden Untertassen aufriß und seine Zunge in die Brause steckte wie ein Hollywood-Bulle, der nach Kokain fahndet.
»Aber ich hab’s nicht aus dem Dorfladen! Ich schwör’s dir.«
Dem Idioten war einfach nichts beizubiegen.
»Herr Jesus, diesmal bist du reif für ’ne saftige Abreibung«, sagte Pollock und zog mit meinen Schätzen davon.
»Nach dem Abendbrot bei den Schiffen«, grunzte er und stapfte den Hügel hinauf.
Merkwürdig, daß mir der Ausdruck »bei den Schiffen« erst jetzt wieder einfällt.
Am gegenüberliegenden Ende des Flurs, der zum Büro des Direktors führte, standen zwei Modell-Kriegsschiffe in einem Schaukasten aus Glas. Wurde man von einem Präfekten zum Direktor geschickt, hieß es bloß: »Nach dem Essen bei den Schiffen« oder: »Noch ein Ton, und wir sehen uns bei den Schiffen«. Wirklich seltsam, daß diese Schiffe erst jetzt wieder in meiner Erinnerung auftauchen. Ich glaube, eins war die HMS Hood , aber ich kann mich auch täuschen. Ich weiß allerdings noch genau, daß sie rote Ringe um den Schornstein hatte, was eher ungewöhnlich für ein Schiff der Königlichen Marine ist. Vielleicht waren es auch einfache Kreuzschiffe. Jedenfalls bedeutete ihre bloße Erwähnung größtes Unheil.
Mit wachsender Panik stolperte ich hinter Pollock her und brüllte immer wieder, ich sei nicht im Dorfladen gewesen. Als Antwort hörte ich nur sein hallendes Lachen, mit dem er im Schulgebäude verschwand.
Dann ertönte eine Fistelstimme neben meinem Ellbogen.
»Was ist los, Fry? Irgendwelchen Ärger?«
Ich blickte hinab und sah Bunce, der mir aus
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