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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Master Fry«, sagte er mit seiner Jack Warner nachempfundenen Ich-bin-ziemlich-viel-in-der-Welt-herum-gekommen-und-kenne-Typen-wie-dich-Stimme.
    Ich war mir sicher, er hatte nicht die leiseste Ahnung, daß ich soeben im Büro des Direktors gewesen war. Er hatte mich bloß vor der Tür stehen gesehen und glaubte, ich würde dort warten.
    »An einem so herrlichen Nachmittag wirst du den Direktor nicht im Haus finden, junger Mann«, sagte er, meine Vermutung bestätigend. »Du solltest selbst nicht hier sein. Ein so junger Kerl. An einem so schönen Tag. Das ist ungesund.«
    Ich japste ein bißchen und deutete auf meine Brust. »Vom Sport befreit«, sagte ich mit heldenhaftem, angespanntem Keuchen.
    »Verstehe«, sagte Dealey. »Na, dann komm mal mit, und ich zeig dir, wie man Silber poliert.«
    »Geht schon wieder«, sagte ich und machte mich eilig davon.
    Brenzlige Situationen wie diese versetzten mich immer inEuphorie. Meine große Leidenschaft für Bücher und Filme über Kriegsgefangene resultierte vermutlich aus meiner Identifikation mit den Gefangenen und ihrer ständigen Angst, entdeckt zu werden ... wie sie den Ofen im letzten Augenblick über den Eingang zum Fluchttunnel zerren, als der Kommandant zur Tür hereintritt, oder ihre Köpfe in letzter Sekunde an den Boden pressen, bevor der Suchscheinwerfer sie erfaßt. Bücher wie The Wooden Horse oder Reach for the Sky waren voll von solchen Momenten, und ich verschlang sie mit fiebernder Begeisterung.
    Diesmal war ich davongekommen, obendrein mit den Taschen voller Süßigkeiten, kein deutscher Soldat in Sicht und nur noch ein paar Meilen bis zur Schweizer Grenze.
    Ich schlüpfte hinaus in den Garten und lief zum See hinunter. Das Bootshaus war genau der richtige Ort, wo man sich ungestört hinsetzen und futtern konnte.
    Unterwegs jedoch begegnete mir Donaldson, der ebenfalls vom Sport befreit war und mir ein neues Spiel zeigen wollte.
    Vor wenigen Tagen war eine der Wiesen mit einem Elektrozaun abgetrennt worden. Hier sollte ein weiteres Cricketfeld oder dergleichen entstehen, und der Zaun war dazu da, die Ponys fernzuhalten. Alle Schüler waren informiert und gewarnt worden, den Zaun nicht anzufassen.
    »Jetzt paß mal gut auf«, sagte Donaldson, während er mit mir an den Zaun trat.
    Ich folgte ihm mit einigem Unbehagen, da ich Donaldson nicht besonders mochte. Er war groß und kräftig und nur aufgrund einer Verletzung vom Sport befreit, nicht weil er ein Feigling oder Drückeberger war. Bislang hatte er mich zwar in Ruhe gelassen, aber ich befürchtete dennoch irgendeine blöde Finte, bei der ich zuletzt an den Zaun geraten und einen gewischt bekommen würde. Da ich in einem Haus mit Leitungen aus viktorianischen Tagen groß geworden war, wußte ich über Stromschläge ausreichend Bescheid, um deren gemeine, mordsmäßige Stöße zu fürchten.
    Donaldson stellte sich neben den Zaun, bedeutete mir, still zu sein, und packte dann blitzschnell mit einer Hand an den Draht, um ebensoschnell wieder loszulassen. Offenbar hatte er keinerlei Stoß oder Schlag erhalten.
    »Ist kein Strom drauf?« fragte ich.
    »Drüben steht der Ticker«, sagte er. »Horch.«
    Tatsächlich war an einem der Eckpfosten eine Art Sicherungskasten angebracht, der ein regelmäßiges Ticken aussandte.
    »Bei jedem Ticken wird ein Stromstoß losgeschickt«, erklärte Donaldson. »Aber wenn man zwischen zwei Tickern dranpackt, passiert nichts. Nur zu. Versuch’s mal.«
    Immer noch einen bösen Streich vermutend, lauschte ich auf das Ticken, bis ich den Rhythmus raushatte, und faßte dann blitzschnell den Zaun an.
    Nichts.
    Ich lachte. Hey, das war super.
    Wir setzten das Spiel fort, wobei wir unsere Finger um so länger am Draht ließen, je mehr wir mit den Intervallen des Tickers vertraut wurden, und Donaldson und ich einen jener vollkommenen Momente kindlicher Freundschaft erlebten, der genau für die Dauer des Spiels anhält, während wir beide wußten, daß wir uns bei unserer nächsten Begegnung nicht näherstehen würden als zuvor.
    Bald gesellten sich noch andere Jungen zu uns, die vom Cricket-, Schlagball- oder Leichtathletikfeld zurückkehrten und von Donaldson und mir, den Zeremonienmeistern, in das Ticker-Spiel eingeführt wurden.
    Dann hatte ich eine Idee.
    »Alle mal herhören«, sagte ich. »Wir fassen uns alle an den Händen an und bilden eine Schlange. Dann packt der erste an den Zaun und wartet, bis der nächste Stoß kommt. Der Strom müßte die Schlange entlangwandern und

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