01 Das Haus in der Rothschildallee
gedacht, »meine kluge Gattin« aber den großen Wurf gelandet hätte. »Sie werden ihren Entschluss nicht bereuen«, sagte der Notar beim Protokollieren des Kaufvertrags. »Die Fachleute versprechen sich viel vom Nordend.«
»Ich bereue nie etwas«, erklärte Johann Isidor. Nur wer ihn nicht kannte, hätte sein Selbstbewusstsein mit Hochmut verwechselt.
Er überließ, was sie ein Leben lang freute, seiner Frau die Wahl der Wohnung im eigenen Haus. Auch da entschied sie mit der Weitsicht einer Kennerin. »Im ersten Stock kriegt man weder den Staub noch den Lärm der Pferdehufe und auch nicht die Bettler ab,« erklärte sie. »Und außerdem rennt das Personal nicht jeden Moment auf die Straße, um zu tratschen.«
Die Wohnungen im Parterre und im zweiten Stock des Anwesens waren bereits gut vermietet, allerdings noch nicht bezogen. Für den dritten und vierten gab es ernst zu nehmende Interessenten. Sternberg bedachte auch als Vermieter jeden Einfall zweimal. Bei der ersten Mahlzeit im neuen Heim fragte Betsy mit der vermeintlichen Unschuld, die Johanns Herz fast immer zum Schmelzen brachte, ob leer stehende Wohnungen nicht einen Verlust bedeuteten. »Mieter«, belehrte er sie, »kann man ja nicht auswechseln wie den Rock oder die Hose. Nur wer vorher genau Maß nimmt, trifft ins Schwarze, meine Liebe.« Der kluge Geschäftsmann wollte die Mansarden und die Räumlichkeiten im Dachstuhl zusammen mit den Wohnungen vermieten – in guten Gegenden war es ja nicht standesgemäß, das Personal in der eigenen Wohnung unterzubringen oder sich gar mit einer Zugehfrau zu begnügen.
Mit dem Umzug in die Rothschildallee veränderte sich auch Madame Sternbergs Status. Im Sandweg war es nach bewährtem Bürgerbrauch »bescheiden, aber reinlich« zugegangen. Jeden vierten Montag war eine Waschfrau gekommen, und es gab Maria, die Magd fürs Grobe. Der allerdings konnte die Hausfrau noch nicht einmal das Alltagsgeschirr zum Spülen anvertrauen, schon gar nicht Kristallgläser, Porzellanvasen und den teuren Kachelofen im Wohnzimmer. Auch die Oberhemden ihres Gatten und die eigenen feinen Seidenblusen bügelte Betsy selbst. Sie putzte freitags das Silber und die ganze Woche lang das Gemüse, sorgte für die Pflege der Möbel und schickte Maria nur dann zum Milchmann, wenn sie selbst zu unpässlich war, um aus dem Haus zu gehen. Trotz aller Vorbehalte wollte sich Betsy nicht von dem Mädchen trennen. Sie behielt auch die Waschfrau. Neu engagiert wurde Josepha, die bereits nach sechs Wochen den Neid von Frau Betsys sämtlichen Freundinnen, Verwandten und Bekannten erregte. »Eine Perle«, schwärmte die Hausfrau schon an Josephas drittem Arbeitstag.
»Auch Perlen verlieren manchmal ihren Glanz«, dämpfte Johann Isidor. Vorschusslorbeeren misstraute er noch mehr als dem großen Wort.
Josepha Krause, erst ab dem Umzugstag engagiert, half bereits beim Packen, putzte jede Ecke der neuen Wohnung und jeden Winkel des Kellers; sie gab sich besondere Mühe mit dem Hof und dem neuen schmiedeeisernen Tor. »Die Leute sollen gleich sehen, dass wir wissen, was sich gehört«, sagte sie. Josepha unternahm auch erste Versuche, den etwas schwierigen Sohn ihrer Arbeitgeberin kennenzulernen. Hierbei war sie ebenso taktvoll wie tüchtig. Mehr als einmal widerstand sie dem Drang, ihre kräftige Rechte in Richtung von Klein Ottos Hintern zu schwingen.
Josepha stammte aus einem Dorf in der Wetterau. Wenn sie Kartoffeln schälte oder Erbsen pulte und die gnädige Frau auch in der Küche war, konnte sie lange und anschaulich von den Äpfeln erzählen, die dort wuchsen und immer nach Bad Nauheim geliefert wurden, sobald die Gattin des Zaren mit ihren hübschen Töchtern und die Geschwister aus Darmstadt zu Besuch kamen. Nach ihrer eigenen Familie, der ein kleiner landwirtschaftlicher Betrieb gehörte, hatte Josepha keine Sehnsucht. Selbst zu Weihnachten zog es sie nicht nach Hause. Sie war in jeder Beziehung genau das, was Damen der vornehmen Gesellschaft zu schätzen wussten: ein Hausmädchen mit Kochkenntnissen, ohne Anhang und ohne eigene Bedürfnisse. Mit so einer ließ sich sehr viel angenehmer Zukunft planen als mit einem Springinsfeld, der noch Rosinen im Kopf und Pfeffer in den Beinen hatte.
Josepha war nicht mehr im Heiratsalter. Sie hatte einen leichten Ansatz zum Kropf und dicke Beine, und sie trug auch sonntags dunkle Kittelschürzen. Nach allgemeiner Erfahrung würde sie keine Gefährdung für die Tugendhaftigkeit des Hausherrn sein, und
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