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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sie umgab, zu einem großen Teil ihrem strebsamen Mann zu verdanken hatte.
    Bei jedem Blick in den Spiegel war Johann Isidors Gattin dem Schicksal dankbar, dass die Zeit gnädig mit ihren Reizen umging. Noch mit achtundzwanzig und in den ersten Monaten der zweiten Schwangerschaft wirkte sie wie das junge Mädchen, das zu Hause in Pforzheim mit den Schwestern unter dem Apfelbaum Blindekuh gespielt hatte. Ihr Teint blieb rein, das nussbraune Haar glänzte, die grünen Augen strahlten Lebensfreude aus. Ihr Talent zur guten Laune war Betsys größte Gabe. Drei Brüder hatte sie, die alle studierten, und zwei Schwestern, die schön waren wie Schneewittchen und beide einen Mann mit Doktortitel heirateten, aber sie blieb ein Leben lang Vaters Liebling.
    Sie war eine sparsame Hausfrau, in der Ehe fügsam, als Mutter aufopfernd und immer geduldig. Nur wenn es um ihre Kinder ging, wurde sie kühn. Nach der Geburt des zweiten Kindes sollte ein Kindermädchen ins Haus, später eine Gouvernante. »Und irgendwann«, vertraute sie ihrem Mann an, »vielleicht ein Reitlehrer für Otto. Der Kaiser hat schon als ganz kleines Kind auf dem Pferd gesessen.«
    »Wir haben ein Haus gebaut, kein Schloss. Merk dir das, mein liebes Kind. Wer zufrieden ist mit dem Ei, braucht die Henne nicht dabei.«
    Nicht nur zufrieden, sondern pfauenstolz war dieser maßvolle Ehemann, wenn er zum Diner einlud. Da galt die üppige Tafel als selbstverständliches Recht der Gäste und nicht als Herausforderung des Schicksals. Frau Betsy kochte superb, sehr viel raffinierter als dies in Hessen üblich war, und stets auf höchstem kulinarischen Niveau. Auch das verdankte sie ihrem Vater – Juwelier Siegfried Strauß hatte eben in jeder Lebenslage bedacht, dass es bei einem kostbaren Stein auf den perfekten Schliff ankommt. Als sein Herzensjuwel die Schule für höhere Töchter absolviert hatte, schickte er es für ein Jahr auf ein berühmtes Etablissement nach Montreux. Dessen Schülerinnen wurden zu perfekten Hausfrauen und zu Gastgeberinnen erzogen, die sich ebenso gut zu unterhalten wussten, wie sie kochen und backen und mit ihrem Personal umgehen konnten; so manche Achtzehnjährige wurde direkt von der Schulbank weg geheiratet. Von feinen Herren, die es sich finanziell leisten konnten, die präsumtive Braut erst anzuschauen und dann nach der Höhe der Mitgift zu fragen.
    Der orthodoxe Teil der Familie Strauß schüttelte den Kopf. Man war sich einig, der »meschuggene Siegfried« würde »das arme Mädchen mit seinem goischen Getue« der eigenen Familie und dem Glauben der Väter entfremden. Indes nahm Betsy auch nicht einen Hauch von Schaden durch die Begegnung mit der Welt jenseits des eigenen Tellerrands. Beim Abschied von der Schweiz empfand sie Kochen nicht als Verpflichtung und Bürde einer Ehefrau, sondern als Kunst. Die feine französische Cuisine war ihr ebenso vertraut wie die schmackhafte Küche ihrer badischen Heimat. Sie kannte Rezepte, die noch in keinem deutschsprachigen Kochbuch standen. Freunde und Bekannte, die im Hause Sternberg dinierten, berichteten beeindruckt von sautierten Lendenschnitten, Boeuf à la bourguignonne und Gänseleberkrustaden.
    »Und das an einem gewöhnlichen Mittwoch«, wusste Frau Rose zu berichten. Ihr Mann hatte eine Fabrik für Lederwaren, und sie verbrachte jeden Sommer in Karlsbad und kannte sich mit dem Leben der feinen Leute aus.
    Frau Betsy war es selbstverständlich, sich von ihrem Mann leiten zu lassen. Nur ein einziges Mal in ihrer Ehe ergriff sie die Initiative, als sie von dem Häuschen vor den Toren der Stadt erfuhr, das Johann Isidor zu kaufen beabsichtigte. Wenn er sich abends, ermüdet von einem langen Tag, zu Tisch setzte, wurde die Hüterin des Hauses aktiv. Sie hatte immer wieder neue Argumente zur Hand, die für ein Mietshaus in der Stadt sprachen. An einem Freitagabend, zwischen gefülltem Hecht und Hühnersuppe, erwähnte die Taktikerin ihren seligen Onkel Heinrich. Dies tat sie mit Kalkül. Der Unvergessene hatte es zu einem Vermögen gebracht, das noch zehn Jahre nach seinem Tod von der gesamten Verwandtschaft als außergewöhnlich bezeichnet wurde. »Nur Dumme und Träumer verwohnen ihr Kapital«, hatte Onkel Heinrich den Seinigen gepredigt, wann immer einer ein Haus hatte kaufen wollen, das lediglich der eigenen Familie Platz bot. Noch als ihm zwei Häuser in Pforzheim gehörten und eins in Baden-Baden und er es sich hätte leisten können, auch montags Hühnchen zu essen, vermietete er zwei

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